COCUY - eine Reise in die Einsamkeit

Unbeschreiblich schöne Reisen. Hier teilt Euch Renato seine Erfahrungen mit. Absolut Lesenswert!
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Renato
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COCUY - eine Reise in die Einsamkeit

Beitrag von Renato »

Nach einer beinahe 12 stündigen Busfahrt über schlechte Straßen kommen wir erschöpft im Dorf El Cocuy an. Das Dorf scheint auf den ersten Blick etwas gesichtslos und wenig interessant. Ein Park in der Mitte, eine nicht sehr schöne Kirche. Oder zumindest eine sehr einfache Kirche. Kein Prunk. Genau so wie die Menschen hier, welche im Vergleich zu anderen Regionen Kolumbiens geradezu durch ihre storrische Ruhe auffallen. Die meisten von Ihnen sind klein und identisch gekleidet. Ein jeder trägt den obligaten Poncho und dazu einen Hut, welcher tief bis ins Gesicht reicht. Man mustert uns, das merke ich. Die Leute hier scheinen etwas misstrauisch zu sein. Die Mentalität scheint sich dem Klima angepasst zu haben. Nach wie vor verirren sich nur wenige Touristen in diesen abgelegenen Teil Kolumbiens.

Hoch über dem Dorf von Cocuy thront die noch praktisch unberührte Sierra Nevada del Cocuy. Majestätische Schneeberge, weite Täler, blaue Bergseen. Dazu zerklüftete Gletscher und Wiesen voller Frailejones. Die Pflanzen, welche einem zu verstehen geben, dass die Natur hier mächtig und wild ist. Diese Pflanzen wachsen in Paramo Landschaften. Ein einzigartiges Ökosystem, welches nur in wenigen Ländern der Welt vorkommt. Eine sehr feuchte Gegend, viel Nebel und viel Nieselregen. Das ist Cocuy. Die nächsten Tage werden wir in völliger Abgeschiedenheit verbringen. Niemand ist dort oben. Kein Tourist (es ist März), einfach niemand.

Wir machen uns auf zu einer einfachen Tienda (Tante Emma Laden) und kaufen noch das letzte Proviant für die kommenden Tage. Wir haben schon ausführlich in Bogota eingekauft. Viel Pasta, wegen den Kohlenhydraten. Denn uns erwarten jeden Tag Fußmärsche von mehreren Stunden. Mit einem schweren Rucksack, durch schweres Terrain. Steil hinauf und Geröllhalden wieder hinunter. Wir nehmen auch Wasser mit, allerdings nur beschränkt, da gefüllte Wasserflaschen eher schwer sind. In den kommenden Tagen werden wir diese Flaschen immer und immer wieder auffüllen an den zahlreichen Bächen, die von den Gletschern aus runter donnern.

Wir steigen auf die Ladefläche des Milchwagen. Ein Wagen, der jeden Morgen den beschwerlichen Weg von Cocuy zu den Bauernhöfen auf sich nimmt. Die Fincas liegen weit verstreut in dieser einmaligen Umgebung. Der Wagen sammelt ein, was die Kühe der hiesigen Bauern an Milch von sich geben. Immer um 6 Uhr früh geht es los. Bei klirrender Kälte. Tag für Tag. Wir sind nach wie vor müde von der Busfahrt doch nach ca. 45 Minuten im Milchwagen sind wir oben auf über 3000 Höhenmetern angekommen. Wir steigen von der hohen Ladefläche hinunter und schnallen uns die Rucksäcke um. Der Marsch beginnt. Über mehrere Stunden laufen wir durch eine herrliche Landschaft zum ersten Nachtlager, welches bei "Lagunillas" sein wird. Ganz am Anfang besuchen wir noch eine Finca, welche da oben liegt. Total abgeschieden. Die Familie Herrera lebt hier. Ein freundlicher Mensch, mit Falten im Gesicht, dem typischen Poncho und einem herzlichen lächeln auf den Lippen begrüßt uns. Er lebt hier mit seiner Frau und seinem 1 jährigen Kleinkind. Es regnet leicht, wir setzen uns drinnen ums Feuer und bekommen ein Agua de Panela. Ein süßes Getränk aus Zuckerrohr, heiss serviert. Ersetzt in Kolumbien den Tee. Miguel, so heisst unser Gastgeber, fragt uns nach der Route und wünscht uns viel Glück.

Wir machen uns auf und verschwinden in den dichten Nebelschwaden. Die Region erinnert mich irgendwie an das Hochland von Schottland. Dieses ist zwar nicht so hoch gelegen, aber als ich mal da war, war es genau so neblig und regnerisch. Genau so weitläufig und unendlich.

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Der erste Tagesmarsch dauert keine 3 Stunden, dann sind wir bereits am Nachmittag beim Nachtlager. Wir beginnen die Zelte aufzustellen, dicht bei den Bergseen von Lagunillas. Der Wind peitscht, es ist kalt. Ich spüre das erste Mal so etwas wie leiden. Warum bin ich nur hierher gekommen? Wir sind der erste Tag unterwegs und haben noch 3 Tage vor uns. Und schon ist es mir verleidet. Evt. bin ich auch noch etwas müde von der langen Busfahrt. Ohne richtigen Schlaf sind wir hier hinauf gekommen. Danach beginnen wir auf dem Gaskocher das Feuer zu entflammen und schon bald kochen wir Pasta mit Tomatensauce. Dazu eine ehrliche Suppe. Zu trinken gibt es Kaffee. Das essen ist genießbar und füllend. Danach beginnt das warten, bis die Nacht kommt und wir schlafen gehen. Um ca. 20 Uhr hat sich auch der letzte ins Zelt verzogen. Zuvor gab es noch Kaffee mit Rum. Evt. vergeht die Nacht so etwas schneller. Draußen zischt der Wind an den Zelten vorbei. Es ist unbequem. Kalt. Trotzdem schlafe ich irgendwann ein. Die Höhe macht einem aber zu schaffen.

Der zweite Tag beginnt um 6:30 mit einem einfachen Frühstück. Etwas Brot vom Tante Emma Laden, dazu Kaffee (ohne Rum versteht sich). Danach beginnen wir damit, die Zelte abzubauen und in unseren Rucksäcken zu verstauen. Diese sind langsam schwer. Dazu die Schlafsäcke und warme Kleidung. Wir beginnen den Aufstieg Richtung Cusiri. Eine Art Pass. Zuerst geht es noch über Wiesen, dann bald nur noch durch Geröll. Immer hinauf. Der Rücken schmerzt. Nach ca. 2 Stunden sind wir auf dem Pass angekommen. Hier betreten wir auch eine neue Provinz, Arauca. Der Weg ist mühsam, Geröll und Fels. Man muss genau schauen wo man hintritt. Doch die sensationelle Aussicht auf Gletscher und Schneeberge welche über 4500 Meter hoch sind, ist eindrücklich. Absolute Ruhe herrscht. Nur ab und zu das rauschen eines Baches, welcher seinen Weg runter ins Tal sucht. Nach weiteren Aufstiegen erreichen wir die Laguna de la Plaza. Ein Bergsee, welcher eindrücklich gelegen ist. Direkt unter der Spitze des "El Diamante". Daneben Gletscher und Wiesen. Wir sind noch höher als gestern. Kälte pur. In der Nacht fällt sogar Schnee.

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Die Nacht vergeht mehr schlecht als recht. Ich habe nicht gut geschlafen. Dies liegt wohl auch an der Höhe. Wir befinden uns hier fast auf 4000 Metern. Kopfschmerzen plagen die anderen. Trotzdem machen wir uns auf, um die Lagune de la Plaza zu umrunden. Wir laufen weiter hinauf bis zu den Gletschern. Eisige Wände starren uns an. Hie und da eine Höhle, wo wir reingehen können. Alles voll Eis. Untypisch für Kolumbien denke ich. Wird dieses Land doch mit Sonne und tropischer Hitze in Verbindung gebracht. Das ist es eben, was Kolumbien auszeichnet. Die Vielseitigkeit, dazu eine fast unglaubliche Diversität an Flora und Fauna. Es gibt praktisch alle existierenden Klimazonen in diesem Land. Der Abschluss bildet ein Bad in der Laguna de la Plaza. Obwohl fürchterlich kalt. Wir springen hinein in den Bergsee und schwimmen eine kurze Runde. Gegen 16 Uhr kommen wir wieder bei den Zelten an. Die Sonne verschwindet eindrücklich hinter der Spitze des El Diamante. Es war schönes Wetter heute.

Die Nacht ist lang. Von 19:30 bis um 7 Uhr morgens. Dann beginnt auch schon der letzte Tag. Heute marschieren wir alles zurück bis zur Finca de los Herrera. Dort erwartet uns ein Jeep, welcher uns wieder nach Cocuy bringt. Das Wetter spielt mit. Ein jeder läuft für sich. Ich hole mir noch einen schrecklichen Sonnenbrand. Obwohl es kalt ist, ist die Einstrahlung auf Grund der Höhe und der Nähe zum Äquator extrem. Dies unterschätzt man gerne wegen der Kälte. Wieder in der Finca gibt es erneut ein Agua de Panela. Dann besteigen wir auch schon den Jeep Richtung Cocuy. Von Cocuy aus fahren wir per Nachtbus zurück nach Bogota. Die Zivilisation hat uns wieder.

Fazit: Cocuy ist etwas vom schönsten, was Kolumbien zu bieten hat. Eine Bergwelt für sich, noch unentdeckt. Wer kein Problem mit den extremen Umständen wie Kälte, kein Komfort, lange Märsche mit Gepäck hat, wird sich wohl fühlen in dieser Welt für sich.Es empfiehlt sich, mit einer ortskundigen Person zu gehen.


Bergfan
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Re: COCUY - eine Reise in die Einsamkeit

Beitrag von Bergfan »

Ja, Renato. Schön geschrieben. Meine Gegend :-) ich weiss schon warum.
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schweizer
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Re: COCUY - eine Reise in die Einsamkeit

Beitrag von schweizer »

Eines der schönsten Foren hier im Kolumbienforum ist RENATOS REISEN. Jedesmal wenn ich die Gelegenheit habe lese ich die Berichte und freue mich immer wenn es etwas neues gibt. Ein ganz grosses danke an Renato verbunden mit der Bitte: pflege es, denn du schreibst wunderbar.
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Riza
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Re: COCUY - eine Reise in die Einsamkeit

Beitrag von Riza »

Beneidenswert! Es war schon immer mein Traum, einmal in die Berge zu reisen.
Vielen Dank für die Zeit und die Mühe, die du investierst!
Dieses Forum "Renatos Reisen" ist sehr gelungen - und das alles dank dir!
Hoffentlich weiter so! :)
Egal wie dicht du bist, Goethe war Dichter.
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Renato
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Re: COCUY - eine Reise in die Einsamkeit

Beitrag von Renato »

Danke vielmals. Freut mich, gefaellt es Euch und ich kann etwas sinnvolles hier beitragen.
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Eisbaer
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Re: COCUY - eine Reise in die Einsamkeit

Beitrag von Eisbaer »

Danke Renato, wie alle sagen - echt gelungen und eine Bereicherung für unser Kolumbienforum.
Du bist zufrieden mit unserer Hilfe! Dann helfe bitte mit einer kleinen » Spende « Danke und Vergelt´s Gott!
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Ernesto
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Re: COCUY - eine Reise in die Einsamkeit

Beitrag von Ernesto »

Noch nie habe ich soviel gebündelte Information zu Kolumbien auf einem Haufen gefunden. Super! Wirklich das beste. Eine Frage, darf ich diesen Beitrag für private Zwecke ausdrucken?
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Renato
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Re: COCUY - eine Reise in die Einsamkeit

Beitrag von Renato »

Ernesto. Von mir aus ja klar, darfst Du gerne benutzen.
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Nasar
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Re: COCUY - eine Reise in die Einsamkeit

Beitrag von Nasar »

Berlin is duffte und die Erfahrungen von Renato auch. Spitze
Fünf sind geladen, zehn sind gekommen, gieß Wasser zur Suppe, heiß alle willkommen.

Ralli
Kolumbienfan
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Beiträge: 97
Registriert: Di 15. Jun 2010, 11:20

Re: COCUY - eine Reise in die Einsamkeit

Beitrag von Ralli »

Hallo renato

Deine Reiseberichte machen einen ganz kirre.. :sup:

Und ich muss noch 8 lange Wochen überstehen bis es endlich losgeht !! :fel:

Gruss
Ralli
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Bambus
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Registriert: Mo 22. Mär 2010, 21:05

Re: COCUY - eine Reise in die Einsamkeit

Beitrag von Bambus »

Unvorstellbar was Kolumbien alles zu bieten hat. Kann man das alles in einem Menschenleben erforschen? Vielen Dank fuer den Beitrag.

dfassben
Kolumbien-Neuling
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COCUY - eine Reise in die Einsamkeit

Beitrag von dfassben »

Schöner Bericht über einen wirklich wunderschönen Ort... Als Schulkind habe ich mich mal gefragt, ob es eigentlich noch Orte auf dieser Welt gibt, an denen man eine weite Aussicht hat und trotzdem keine Spur menschlicher Zivilisation sieht und mir gewünscht, eines Tages an einem solchen Ort zu stehen. Am Pulpito del Diablo im Cocuy war es dann soweit. Trotz Kälte und unglaublicher Qualen mein absolutes Kolumbienhighlight und sehr zu empfehlen!

Boletus_satanas
Kolumbien-Infizierte(r)
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COCUY - eine Reise in die Einsamkeit

Beitrag von Boletus_satanas »

Wunderschöner Bericht. Das wird mein Ersatz für die Sierra Nevada von Santa Marta. Mein Dank gilt dem Verfasser.

Shakari
Kolumbien-Neuling
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Registriert: Sa 31. Dez 2011, 07:21

COCUY - eine Reise in die Einsamkeit

Beitrag von Shakari »

Hallo, auch ich schließe mich dem Lob an.
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