Semana Santa - Osterzeit in Kolumbien, wo eigentlich immer Sommer ist. Es war eine Reise mit Hindernissen - verursacht durch mich selbst und den Genossen Zufall.
Meine Begleiterin bekam die Reisekasse. Schließlich war sie der Landessprache mächtig, denn ich spreche nur ein paar Worte Spanisch. Unser Ziel war der Parque de Café in Armenia - gut 200 km von Cali entfernt. Wir reisten früh morgens vom Terminal in Cali mit dem Bus an. Die Anreise dauerte gut vier Stunden. Sie führte uns durch überschwemmte Flusstäler und auf einige kleinere Anhöhen der Anden. Gegen 10 Uhr waren wir in Armenia, von dort ging es mit einem weiteren Bus bis zum Parque del Café, den wir gegen 10:45 erreichten. Am Terminal in Armenia teilte man uns mit, dass der letzte Bus retour nach Cali gegen 19:30 Uhr abfahren würde. So konnten wir also gut sechs Stunden für die Besichtigung des Parks einplanen.
Der Tag verlief zunächst ohne Probleme. Wir konnten vielfältige Eindrücke über den Kaffeeanbau in Kolumbien sammeln und auch der Kurze hatte seinen Spaß, weil der Park vielfältige Unterhaltungsmöglichkeiten für Kinder und Erwachsene bietet.
Die Schwierigkeiten begannen am späten Nachmittag. Es kam zu einem Streit mit meiner Begleiterin, der dazu führte, dass sie sich gemeinsam mit dem Jungen davon machte und mich zurück ließ. Ich war zu stolz, um ihr nachzulaufen. Sie zu stolz, um zurück zu kommen. Das Problem: Sie hatte das Geld und die Parktickets, die auch die Rückfahrt zum Parkeingang per Bimmel- und Seilbahn beinhalteten.
Natürlich ging ich davon aus, dass meine Begleiterin noch rechtzeitig zurückkehren würde, aber da hatte ich mich getäuscht. So wurde es - wie in Kolumbien üblich - gegen 18 Uhr dunkel und von meiner Begleiterin und dem Kleinen war nichts zu sehen. Meinen Stolz überwindend griff ich in meinen Rucksack, um per Handy meine Begleiterin zu kontaktieren, aber - wie es der Teufel will - war das Handy nicht zu finden. Ich hatte es in der Wohnung in Cali auf dem Tisch liegen lassen (wie sich später heraus stellte).
Gegen 18:30 Uhr beschloss ich dann, mich alleine auf den Rückweg zu machen - wohl wissend, dass es eng werden würde, den Bus am Terminal in Armenia noch zu erwischen. Spätestens an der Station der Bimmelbahn wurde mir dann klar, dass ich ihn unmöglich erreichen würde können, denn wegen des Andrangs der Parkbesucher, die ebenfalls ihren Heimweg antreten wollten, musste ich den ersten Zug fahren lassen und eine weitere Viertelstunde auf den nächsten warten. Als ich dann die Schleuse zum Bahnsteig passieren wollte und nach dem Ticket gefragt wurde, konnte ich nur antworten: "Perdon, he perdido mi mujer y el niño y los entradas estan en el bolso de mi mujer." Die Parkangestellte hatte mich wohl verstanden, denn sie grinste mich an und winkte mich dann durch.
Quälend lange brauchte der Zug, bis er an der Talstation der Seilbahn ankam. Mittlerweile war es stockfinster. Meine Panik wuchs, als die gesamte Besuchertruppe aus dem Zug von der Seilbahn weg hin zu einem nahe gelegenen Sessellift umgeleitet wurde, denn an der Seilbahn hatte sich ein riesiger Stau gebildet. Nach einem zehnminütigen Fußmarsch erreichte die Truppe dann dann die Station des Sessellifts - nur: hier sah es nicht wirklich anders aus als an der Seilbahn. Das bedeutete eine weitere halbe Stunde Wartezeit, bis ich dann - diesmal ohne Sprechkontakt - als "Schwarzfahrer" einen Sessel erwischte, der mich zurück zum Eingangsbereich des Parks brachte.
Die Hoffnung, meine Begleiterin vielleicht am Parkeingang zu finden, zerbarst schnell: auch dort von ihr keine Spur. Ein Blick in meine Geldbörse brachte die Gewissheit, dass ich noch über eine kleine Reserve von 80.000 Pesos verfügte, was umgerechnet etwa 30 Euro waren. Genug für die Rückfahrt, sofern es noch eine Möglichkeit dazu geben sollte, aber grenzwertig im Hinblick auf eine Hotelübernachtung plus Rückfahrt am anderen Morgen. Zunächst musste ich allerdings den richtigen Bus zurück zum Terminal nach Armenia erwischen. Da ich diesbezüglich völlig verunsichert war, wendete ich mich an einen Polizisten: "Necesito el bus a Armenia, puede usted decirme, donde el bus llega?" Der Polizist - ein Mann von vielleicht 20 Jahren - reagierte freundlich und wies mich an, an einer bestimmten Stelle zu warten. In der Zwischenzeit hielten mehrere Busse, aber der Polizist, der sich weiterhin in meiner Nähe aufhielt, schüttelte jedesmal den Kopf. Beim vierten Bus dann klopfte er mir auf die Schulter und gab mir zu verstehen, dass ich einsteigen sollte. Erwartungsgemäß war der Bus so voll, dass ich keinen Sitzplatz mehr bekam. Ich hielt 2000 Pesos bereit, denn bezahlt wird gewöhnlich erst beim Aussteigen. Nur daran war vorläufig nicht zu denken, denn der Bus graste noch alle umliegenden Dörfer ab und brauchte glatte 45 Minuten bis zum Terminal nach Armenia.
Mittlerweile war es fast 21:00 Uhr und von der hektischen Betriebsamkeit bei der Ankunft am späten Vormittag war im Terminal nun nichts mehr zu spüren. Die Terminals in Kolumbien sind alle nach dem gleichen Prinzip organisiert. Es gibt Schalter mit den jeweiligen Reisezielen. Und zu meiner Überraschung war der Schalter für Cali noch geöffnet. Hoffnung schöpfend begab ich mich zu diesem Schalter, wo ich einer freundlichen Dame in meinem gebrochenen Spanisch erklärte, dass ich Ausländer sei und den letzten Bus nach Cali verpasst hätte. Sie erwiderte, dass sie schon gemerkt hätte, dass ich kein Kolumbianer sei, wo ich denn her käme - und (meine Freude war groß) es würde noch ein Achtsitzer die Nachzügler einsammeln und nach Cali fahren. Ich sollte das Ticket schon bezahlen, aber es würde noch eine Weile dauern, bis der Bus abfahren würde. Also zahlte ich 24.000 Pesos (sogar etwas weniger als auf der Hinfahrt), hielt mich aber in Sichtweite des Schalters auf. Ich musste gar nicht lange warten, denn schon nach etwa 20 Minuten kam die nette Dame aus ihrem Schalter heraus und begleitete mich zu dem Großraumtaxi. Ich freute mich über den Sitzplatz, denn die Fahrt würde ja mindestens vier Stunden dauern. Der junge Fahrer des Minibusses bekam noch ausführliche Anweisungen, die ich nicht verstand. Dann bretterte er los.
Innerhalb von Armenia verfuhr er sich zweimal und musste jeweils umkehren und erneut die richtige Ausfallstraße suchen. Auch einigen Osterprozessionen musste er ausweichen. Aber als er die Fernstraße gefunden hatte, ging es flott voran - immer leicht über dem Geschwindigkeitslimit. Das machte Hoffnung, vielleicht schon eine halbe Stunde früher in Cali einzutreffen. Die Stimmung unter den acht Fahrgästen war blendend. Ein Kind sang die ganze Zeit über die Erkennungsmelodien aus den Telenovelas. Die Kolumbianer unterhielten sich rege und lautstark. Das änderte sich schlagartig, als der Fahrer nach etwa 80 km eine Ausfahrt verpasste und einige Sekunden später das Steuer herumriss und eine 360-Grad-Wende durchführte. Nicht nur dadurch wurden die Busgäste von ihren Sitzen gerissen, sondern zu unser aller Entsetzen hatte der Fahrer auch noch die Straßeneinmündung übersehen und ratterte in vollem Tempo über einen Bordstein. Danach gab der Bus merkwürdige Geräusche von sich und an den Reaktionen des Fahrers konnte man erkennen, dass wirklich etwas nicht stimmte. Er reduzierte die Geschwindigkeit auf unter 80 kmh, aber das eiernde und pfeifende Geräusch wuchs sogar noch an. Der Bus ließ sich nicht mehr richtig lenken. Ständig musste der Fahrer korrigierende Lenkbewegungen ausführen. Zweimal hielt er an, goss irgendwo im Motorbereich eine Flüssigkeit nach und setzte dann die Fahrt mit extrem langsamer Geschwindigkeit fort.
Etwa 100 km vor Cali kam es dann zu einem längeren Stopp. Am Straßenrand stand ein liegen gebliebener LKW, und ein Wagen der Straßenwacht mit eingeschaltetem Drehlicht auf dem Dach war zu sehen. Unser Bus hielt ebenfalls an dieser Stelle und der Fahrer nahm Kontakt zu dem Mann der Straßenwacht auf. Wir wurden gebeten auszusteigen. Der Mann von der Straßenwacht schaute sich unseren Bus an, rüttelte ein wenig am rechten Vorderrad und wies unseren Fahrer an, die Felge abzumontieren. Nach der Demontage des rechten Rades (der Straßenwächter assisiterte mit seiner Taschenlampe) wurde deutlich, dass an der rechten Seite die Verbindung der Lenkung zur Achse nicht mehr funktionierte (wahrscheinlich ein Bruch). Das Schulterzucken des Straßenwächters verdeutlichte unmissverständlich, dass er keine Abhilfe schaffen konnte. Nach einigen Minuten der Ratlosigkeit zauberte unser Fahrer von irgendwo ein Sisalseil herbei, legte sich unter den Bus und verband in einer lang währenden Prozedur das Lenkgestänge mit der Achse des Busses. Dann wurde der Reifen wieder aufgezogen und die Fahrgäste sollten wieder einsteigen. Das vormals weiße Hemd unseres Fahrers war nun reichlich befleckt.
Und so ging die Fahrt weiter - zunächst etwa 10 km ohne Geräusche, aber danach gab es wieder das Pfeifen, was den Busfahrer aber nicht davon abhielt weiterhin mit 80 kmh gen Cali zu fahren. Im Bus war es mittlerweile mucksmäuschenstill. Und auch ich richtete einige Stoßgebete an den Himmel. Gegen 2:30 Uhr erreichten wir die Randgebiete von Cali. Gegen 3.00 hielt der Bus am Terminal. Und ich lebte noch!
Reise zum Parque de Café bei Armenia Ostern 2011
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