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Eine Liebeserklärung an Providencia

Verfasst: Mi 7. Okt 2009, 03:11
von Zahlenmaus
Kolumbien´s unberührte Insel-Idylle

Eine fremde Mischung Südamerikas und der Karibik: auf der winzigen kolumbianischen Insel Providencia geht es so geruhsam zu, daß Antigua oder Barbados vergleichsweise hektisch erscheinen.

Im Vorfeld meiner Reise wurde ich strikt ermahnt, nicht mehr als fünf Kilo Gepäck auf den Flug mit dem kleinen Doppeldecker-Flugzeug von San Andrés nach Providencia mitzuführen, und daran hielt ich mich: Was braucht man auf einer tropischen Insel denn auch schon außer etwas Badekleidung und einigen T-Shirts? Die Gepäckbegrenzung war jedoch die einzigste Reglementierung, und der Beamte am Flughafen von San Andrés winkte mich und mein großes Glas Cuba Libre glücklich durch den Zoll. Sein britisches Gegenstück hätte mich wegen meiner mitgeführten Flasche Trinkwasser bestimmt mit einem Elektroschocker traktiert.

So wurde es ein passender Einstieg in den Urlaub! Zwanzig Minuten später und einige Schritte vom kurzen Landestreifen von Providencia entfernt, steuerte ich geradewegs auf einen Mann mit einem großen Chevy zu, der mich sehr langsam zu einer kleinen Hütte, das ich von England aus vorbestellt hatte, fuhr. Ich vermute er war ein Taxichauffeur, aber er hatte weder einen Dienstausweis noch ein typisches Taxischild auf dem Dach noch den Drang, das Fahrgeld schnell einzutreiben. Er erzählte mir, dass sein Name „Fed“ wäre. Wir plauderten und er bemerkte, dass er mit dem hektischen Treiben von San Andrés nicht zurechtkommen würde.
Um diese Aussage genauer zu verdeutlichen: das Tempo auf dem kolumbianischen Festland ist 100mal entspannter als jenes im Vereinten Königreich. Seine zugehörige größte touristische Karibikinsel, San Andrés, ist mit 12,irgendwas km Länge in etwa 775km nördlich des Festlandes gelegen, und damit geografisch näher an der Küste Nicaraguas als an Kolumbien. Es ist bestens bekannt als ein Reiseziel für Taucher und wohlhabende Familien. Auf meinem Weg zurück habe ich ein paar Stunden dort verbracht: Es war gesellig, am Strand reihte sich Badelaken an Badelaken, und ohne jeglichen Ärger.

Providencia jedoch – die um ein Drittel kleinere Schwesterinsel von Andrés - ist so ganz anderes.

Der Grund hierfür ist nicht nur das Fehlen der Düsenflugzeuge. Es gibt keine Schicki-Micki-Segeljachten, keine all-inclusive-Hotelanlagen, keine Bootspartys bei Sonnenuntergang. Der fehlende richtige (größere) Flughafen hält die Insel klein und die Pauschaltouristen fern. Auch kulturell existieren Unterschiede: Kreolisches Englisch ist noch die dominierende Sprache (Ortsansässige nennen die Insel „Old Providence“); Kolumbiens Hauptstadt, Bogotá, hatte erfolglos versucht, bei der Bevölkerung und der Kommunalverwaltung, welche von schwarzer und afrikanischer Abstammung sind, Spanisch als Amts- und Hauptsprache einzuführen.
Providencia hat nicht die Restaurants und Ferienorte Antiguas oder Jamaikas. Was es stattdessen anbietet, ist eine Art karibische Erfahrung Marke Eigenbau. Kurz nach der Inspizierung meiner Hütte hörte ich einen lauten Knall - es war Treffer von Mangos, die auf meinem Dach landeten. Ich ergriff ein paar und kam an eine kleine Treppe zu einem kleinen Bootsanleger. Nichts und niemand war da - keine Boote im Wasser, keine Bars oder Zeitungsstände. Ich hüpfte ins Meer und schwamm im lauwarmen Wasser. Samen von einem Baumwollbaum schwammen rundum, und unter mir tummelten sich Hunderte von schwarzen und gelben Fischen. Sonst war da nichts weiter.

Meine Villa war Teil eines kleinen, von einem lokalen Unternehmen geführten Komplexes. Wir konnten dort zu Mittag essen oder auch nicht (ganz wie wir wollten), aber eine Mahlzeit ein Tag war im Preis inkludiert, und da man den eigenen Alkohol mitbringen konnte, erschien uns das ein guter Deal zu sein. Am ersten Nachmittag schlenderte ich bis zu Morgan´s Supermarkt und besorgte etwas anständigen chilenischen Wein und eine Flasche Caldas. Im Laufe der Tage lernte ich die Supermarkt-Damen kennen, und probierte ihre gebratenen Fleisch-Pastetchen. Das einzig weitere Geschäft, das während des Abends noch auf meiner Wegstrecke lag, war ein französisch-stämmiger Kunst- und Souvenirladen, der als Warensortiment guten Kaffee, lokalen Schnick-Schnack und geschmackvolle Fruchtmarmeladen anbot.

Ich war nach Providencia ohne eine vorgefasste Meinung gereist. In der Tat hatte ich die komplizierte Anreise in diese Ecke der Karibik größtensteils deshalb auf mich genommen, weil ich in der einschlägigen Reisepresse nie auch nur irgendetwas über diese Insel gelesen hatte. Und doch, als ich am Ende des zweiten Nachmittags so in meiner Hängematte lag, ein Glas Rum/Cola in der einen Hand und ein Exemplar „Killing Pablo“ (Biographie des kolumbianischen Drogenbosses Pablo Escobar von Mark Bowden) in der anderen Hand, dachte ich, dass ich zufällig im Paradies gelandet war.

Auf einer langsamen (in Providencia ist alles langsam) Barkassen-Tour um die 20 km umfassende Küste lernte ich die wenigen Höhepunkte der Insel kennen: das rustikale Manzanillo, den eleganter wirkenden South West Beach, und die „Hauptstadt“, Santa Isabel – ebenso wie den Anblick der verkümmerten, erloschenen Vulkane , welche von den Bergrücken hinabführten. Es gab nur einen etwas größeren Hügel mit Namen „The Peak“.

Wir kamen auch nach Santa Catalina, einer winzigen Nachbarinsel, welche mit Providencia durch eine erhobene Uferstrasse, genauer gesagt dem als die „Brücke der Verliebten“ bekannten Plankenweg, verbunden ist. Hier erteilte uns der Rastafarian-Führer eine Nachhilfestunde in Geschichte: Der berühmte walisische Seeräuber-Kapitän Henry Morgan - der Neffe des Vizegouverneurs Jamaikas - kam im Jahr 1665 auf das Archipel, und als Huldigung zu seinen Ehren wurden zwei Felsformationen entsprechend bekannt als „Morgan´s Kopf“ und „Morgan´s Pobacken“.

"Morgan plante seine Überfälle auf dem spanischen Reich hier, und die Leute sagen, dass es noch immer einen verborgenen Schatz hier gibt," erzählte unser Führer. "Aber zweifelsohne nahmen die Briten nahmen all das." Er fügte hinzu, dass es Morgan war, der sowohl die Kriegsflotte in die Flucht schlug, als auch die Verbindung mit Jamaika und Afrika aufrecht hielt.
Der Führer wies auch auf einige Kirchen - Baptisten und Katholiken - und eine Marienstatue hin. "Die einzige Jungfrau der Insel," witzelte er.

Es ist eine schmuddlige Art von Insel – zumindest an einem bewölkten Tag - die staubigen, regenverhungerten Hänge stehen in Harmonie und Einklang mit den schäbigen Ansiedlungen im britischen Kolonialstil. Man kann Aussparungen traditioneller Architektur in anderen karibischen Inseln auch hier noch sehen, jedoch ist Providencia von groß angelegten Veränderungen und Eingriffen in die Natur durch große Hotelketten weitestgehend verschont geblieben. Zweifelsohne hat die Benennung zum „Seaflower Biosphäre-Reservat“ durch die UNESCO geholfen, dass Providencia immer noch ursprünglich und einladend erscheint.

Am nordöstlichen Inselende befindet sich ein Felsbrocken, das jeder Werbebroschüre gerecht wird, die irgendjemand im Sinn haben könnte, um seine/ihre karibische Fantasie zu erfüllen. Gerade mal etwa hundert Meter an Umfang und so hoch wie ein dreistöckiges Haus, ist Cayo Cangrejo ein ursprüngliches und vollkommenes Inselchen, das in reinen Palmen bedeckt ist und von Korallenringen unter seichten Wasser umgeben ist. Um ins Schwitzen zu geraten lief ich auf die Spitze des Inselchens zu und wurde mit einer 360-Grad-Ansicht von einer Weite des Meeres belohnt, mit wechselnden Farbtönen von Türkis über Smaragd bis zu königlichem Blau (je nach Wassertiefe und Schattenfall der darüber schwebenden Schäfchenwolken). Natürlich hatte ich es (das Meer) vom Flugzeug aus gesehen, aber jetzt war es direkt dort unter mir und verlangte geradezu nach Erkundung.

Ich ergriff einen Schnorchel. Als ein Teil der Lagune von Parque Nacional McBean ist das Wasser hier mit geschützten Korallenriffen, Mangrovebaumsümpfen (im Gebiet befindet sich das drittgrößte Barrier-Reef in der Welt), sowie Hummer, Seeschnecken, Brachsen, Zackenbarsche, Krabben und Dutzenden anderer Riff-Arten gefüllt. Ich schwamm langsam durch das ruhige und klare Wasser und, selbst wenn ich auf der Windseite der Insel ankam, war die Strömung kaum mehr als ein sanfter Stoß gegen meinen schwimmenden Schlag. Es gab Schwämme, Anemonen, Kardinalfische, Papageienfische, Engelfische, Eichhörnchenfische, und riesige Seesterne. Eine große, schöne Seeschildkröte zischte ab, als sie mich um eine Ecke sah.

Natürlich können Sie hier auch eine Tauchausrüstung benutzen, aber offen gesagt, warum einen Gedanken daran verschwenden? Die Sichtbarkeit von 30 Metern ist nicht übertrieben, und das Wasser ist ungefähr drei Meter tief - so tauchte ich ohne den Schnorchel, um den Seestern aus der Nähe zu betrachten. Es gab keinerlei Verlangen nach mechanischem Durcheinander oder Druckluft.

Der Rest der Vergnügungsreise um die Insel konnte mich nicht wie Cayo Cangrejo ins Staunen versetzen, es war jedoch nicht weniger vergnüglich und angenehm. Wir hielten an Stränden an, um zu schwimmen und frische Meeresfrüchtecocktails zu genießen. Reggae dudelte aus den meisten Strandbuden - Kolumbien liebt seinen Salsa und Cumbia-Musik, aber hier denken die Ortsansässigen noch völlig karibisch ganz an sich selbst. Der Sand war kiesig und rau, so machten wir an einem Strand eine Art do-it-yourself Peeling; anderswo in der Karibik würden Sie hierfür in ein Wellness-Center gehen und für so etwas extra zahlen. Dann strömte ein Sturm herein, und wir schwammen in der Brandung unter dem Regen, mit einem magischen gelb-grauen Himmel über uns und einer fremden Stille im Wasser, gerade als starke Windstöße über seine Oberfläche strichen.

An diesem Abend, zurück am Ferienort, schlenderte ich, mit meiner Flasche chilenischen Sauvignon Blanc bewaffnet, hinunter zum Freiluftrestaurant zum Abendessen: gegrillter Zackenbarsch mit Reis, Bohnen und frischem Salat. Mit kleiner Abänderung war dies, ehrlich gesagt, das einzige Menü, welches am Platz zum Abendessen angeboten wurde , obwohl ich eines Abends um eine würzige Soße bat und die Küche mich eine Art Rühr-Soße zubereitete. Es war nicht so höllisch scharf wie das Zeug, das ich in Jamaika und Brixton gegessen hatte; die Leute von Old Providence befassen sich nicht übermäßig mit Essen oder irgendetwas anderem.

Trotz bewölktem Himmel hatte ich einen beträchtlichen Sonnenbrand bzw. mindestens die erste brennende Phase eines solchen erworben. Der Monat Mai, wenn kolumbianische Kinder in der Schule sind und die saisonale Regenzeit beginnt, ist Nebensaison. Aber die wenigen Schauer, die ich erfuhr, waren sehr erwünscht, weil sie an den späten Nachmittagen herunterfielen, als die Zikaden begannen in Panik zu geraten.

Providencia befindet sich generell außerhalb des Gürtels von Orkanen, die regelmäßig durch Kuba, Florida und die Antillen fegen; die tiefsitzenden Gebäude und die einheimische Architektur widersteht den Stürmen besser als die Cancún-artigen Hochhäuser, die den Rest der Karibik punktieren.
Über vier Tage verteilt wog mich das ruhige Inselleben in eine angenehme Routine. Jeder reiste ringsherum auf kleinen Motorrollern, und Mittagessen waren einfacher gegrillter Fisch mit Reis und Bohnen. Ortsansässige am nahe gelegenen Strand hatten ein Lächeln und Zeit, um, zwischen Abdichten von Booten und Reparatur von Fischnetzen, zu plaudern.

Bei Anbruch der Dämmerung wurde ich Augenzeuge eines kleinen Wunders. Durch einen Glücksfall war ich zur Zeit der Krabben-Wanderung auf der Insel. Und jede Nacht um 7 Uhr beobachtete ich Hunderttausende von ankommenden schwarzen Krabben - die riesig und mit furchterregenden Scherenarmen ausgestattet waren - welche sich auf die Reise von den Wäldern bis an den Strand machten, um ihre Eier dort abzulegen. Eine Armee von ihnen hoppelte über die Hauptküstenstraße - eine Barriere hielt die Autos fern - gelegentlich für einen Fleck des Landes ausrangierend oder sich anstrengend, einen Bordstein zu besteigen. Dieses Naturschauspiel ging endlos vonstatten.

Providencia entsprach meinem anfänglichen Eindruck des Paradieses. Aber, natürlich, versuchen alle karibischen Inseln, uns die Fantasie eines Edens auf der Erde zu verkaufen. Die ortsansässige Reiseleiterin Jennifer Archbold Ramirez erklärte mir, "Leute versuchen immer, das Land hier zu kaufen, so können sie mehrstöckige Hotels bauen und Ferienorte aufblitzen lassen, aber wir kämpfen, um sie draußen zu halten. Es ist nicht leicht, aber wir wollen das mit unserem eigenen Schritt auf unsere eigene Weise führen."

Providencia hat seinen ganz eigenen Rhytmus. Ich kann mich wirklich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal in solchem Maße von der Alltagshektik abschalten konnte. Stellen Sie sich einen Platz ohne beweglichen Empfang, kein Internetcafé außer im städtischen Hauptgebiet, keine Geschäfte, keine Zwänge jeder Art, keine Chefs, kein Fernsehen in den Schlafzimmern etc. vor. Weniger ist mehr, nichts ist alles. Providencia namentlich und durch die Natur! Kolumbien, das seit so vielen Jahren von der Karte verschwunden war, hat durch die Abgeschiedenheit dieser Insel sichergestellt, daß die Entwicklung hier nicht mit den Vorstellungen Lateinamerika´s bestrebtem, oftmals unausgegorenem Drang nach Weiterentwicklung im europäischen Stil, im gleichen Maße hier schritthält.

An meinem letzten Morgen erweckte mich erneut herunterfallende Mangos, und Fed kam, um mich zum Flughafen zu fahren. Zu meiner kleinen Tasche von T-Shirts und Badehosen hatte ich einen Topf mit Südfrucht-Marmelade hinzugefügt. Im Madrider Flughafen unterwegs zurück nahm eine Zollbeamtin meine Marmelade von mir. Sie war eine Prinzipienreiterin, eine Europäerin, die Sorte spanischer Bürokraten welche einst Lateinamerika gründeten. Sie eroberten jedoch nie Old Providencia; und nun trinke ich auf das Wohl dieser prächtigen kleinen Insel, sowie auf Henry Morgan´s Kopf und dessen Pobacken jedes Mal, wenn ich mir einen Rum und Cola einschenke.

Hallo zusammen,
ich habe die letzten Tage einen tollen Reisebericht von einem britischen Journalisten über Providencia gelesen, den ich ganz toll fand und der Euch einen realistischen Eindruck über Providencia vermittelt.
Zahlenmaus
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Aus dem Englischen vom User Zahlenmaus ins Deutsche übersetzt.
Hier der Link zum Englischsprachigen Originaltext: http://www.guardian.co.uk/travel/2009/s ... n?page=all
Zahlenmaus ist nicht der Urheber des Textes jedoch stehen ihr alle Recht der Deutschen Übersetzung zu.