Apuntes Paisa; Paisa Notizen.

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Don Maximo
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Apuntes Paisa; Paisa Notizen.

Beitrag von Don Maximo »

Paisa Notizen.
Seit Anfang des Monats bin ich nach fast einem Jahr Abwesenheit wieder im Lande. Dieses Mal erlebe ich die Veränderungen im Pueblo so deutlich wie nie zuvor. Sicherlich steckt eine Portion Subjektivität in dieser Wahrnehmung, man verändert sich, man reift (oder ist vielleicht schon in einem Prozess der Senilität ;) *) und man sieht, zumindest teilweise, Dinge die schon immer da waren, die man aber aufgrund einer veränderten Perspektive als neu oder wesentlich geändert zu interpretieren neigt. *Scherzhafte Bemerkungen wie oben beiseite (ohne zu vergessen, dass auch das, obwohl unbequem und gerne verdrängt, eine Realität ist, die uns alle treffen kann). Ich hatte das Gefühl, dass einige Leute, sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Familie, eine spürbare Verhaltensänderung und teils auch eine kognitive Veränderung erfahren haben.
In der Familie gab es ja auch unangenehme Ereignisse, die zweifelsohne eine gewisse Bürde sind und ihre Spuren hinterlassen haben, vor allem gegenüber den Schwiegereltern, die bereits im fortgeschrittenen Alter sind und ihre eigene Gebrechen haben. Aber auch Menschen mittleren Alters, die an Lebensenergie und Scharfsinn verloren zu haben scheinen.
Als ich mit einem Cousin meiner Frau darüber offen sprach, bestätigte er mir, dass dies nicht nur mein Eindruck sei und dass auch seine Wahrnehmung in diese Richtung gehe. Er meinte nicht zu unrecht, dass die vielen ungünstigen gesellschaftlichen Veränderungen, die in letzter Zeit stattgefunden haben, viele Menschen zermürben und aufzehren, was sicherlich nicht abgestritten werden kann. Schliesslich habe ich dies im letzten Jahr auch in der Schweiz und in Italien, wenn auch in "milderer Form", nahe erlebt.

Während zweifellos immer mehr Menschen, dazu verurteilt sind, hart zu kämpfen, um einen Lebensstandard aufrechtzuerhalten, der wenn nicht mehr würdig, zumindest erträglich ist - ganz zu schweigen von denen, die ums Überleben kämpfen - ist eine andere Welt, eine andere parallele Realität, - nennen wir sie die Welt der Neureiche -, die gleichgültig und unberührt von den wirtschaftlichen Härten bleiben, die die breite Masse treffen, deutlicher denn je.
Auffällig auf der einen Seite die zahlreichen neuen Toyota-Geländewagen die hier herumkurbeln, während auf der anderen Seite Menschen einen Teil ihrer besseren Möbel verkaufen, um ihren (bescheidenen!) täglichen Bedarf eine Zeit lang zu decken.

In der Hoffnung, euch nicht zu langweilen, werde ich in den nächsten Wochen versuchen, einige Situationen, Schicksale und Beispiele aus dem aktuellen täglichen Einheimischen Leben (und Veränderungen aus der Vergangenheit) eines Pueblo des Suroeste antioqueño zu erzählen und zu beleuchten
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smokeout
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Beitrag von smokeout »

Die von dir beschriebenen gesellschaftlichen Veränderungen und wirtschaftlichen Herausforderungen sind zweifellos real und können eine große Belastung für viele Menschen darstellen. Es ist bedauerlich zu sehen, wie sich die Kluft zwischen denjenigen, die von wirtschaftlichen Härten betroffen sind, und denen, die unberührt bleiben, immer weiter öffnet nicht nur in Kolumbien ... Deine Beobachtungen über die Kontraste im täglichen Leben sind sehr treffend und geben Einblicke in die sozialen Ungleichheiten, die existieren.

Ich bin gespannt darauf, mehr von deinen Beobachtungen und Geschichten aus dem täglichen Leben im Pueblo des Suroeste antioqueño zu hören. Grüsse
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Don Maximo
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Beitrag von Don Maximo »

Hat mein letztes Stündlein geschlagen?
Letztes Wochenende hatten wir Besuch. Drei Freundinnen und ehemalige Arbeitskolleginnen meiner Frau aus der Zeit, bevor wir geheiratet haben (in den nächsten Tagen feiern meine Frau und ich übrigens unsere Porzellanhochzeit).
Also hielt ich es für angebracht, mich "frisch zu machen". Und das trotz der kritischen Bemerkungen meiner Schwiegermutter, die mir erwartungsgemäss vorwarf, mich herauszuputzen, um die Aufmerksamkeiten der drei Frauen zu ernten. Ich habe sie dann beruhigt, indem ich ihr sagte, dass die drei Damen (die in 60ern kommen) nicht in meinem Visier seien, da meine Aufmerksamkeit einer jungen Eisverkäuferin im pueblo gelte, die sich meine Geschmacksvorlieben gemerkt hat (wohlgemerkt: Geschmacksvorlieben für Eis). Natürlich alles scherzhaft und ironisch.
Eigentlich ein gesundes, lockeres und scherzhaftes Verhältnis zu Familie und Schwiegereltern, obwohl in diesen scherzhaften Anspielungen ihrerseits immer eine gewisse Portion Ernsthaftigkeit und vor allem latente Angst stecken dürfte. Die Angst, dass ich mit einer "Sardina", wie man junge Frauen hier nennt, durchbrennen könnte.

Nun, einfach und geizig wie ich bin :lol: , habe ich mir seit Jahren angewöhnt, meinen Bart und die wenigen Haare, die mir noch geblieben sind, mit einem Akku Barttrimmer selbst zu schneiden, und zwar in unregelmässigen (und ganz sicher nicht in ästhetisch orientierten) Abständen.
So kam es, dass ich letzten Freitag mit Spiegel und Bartschneider auf der Stufe zwischen Veranda und Garten sass und mit der Rasur begann, als nicht weniger als acht Gallinazos (Rabengeier) erschienen, um sich auf einem Baum nur wenige Meter entfernt aufzusetzen. Obwohl wir am Rande eines Naturschutzgebietes wohnen und daran gewöhnt sind, dass uns eine aussergewöhnliche Vielfalt an Vögeln mit ihren Besuchen beehrt, sind acht Rabengeier - nur etwa drei Meter vom Haus entfernt - definitiv eine Ausnahme.
Meine Frau (die zuerst nur zwei grosse Exemplare gesehen hatte) fragte sich sofort, weswegen sie gekommen waren bzw. was sie gesehen hatten, und bemerkte laut in Richtung der majestätischen Raubvögel: "Macht euch keine falsche Hoffnungen, mein Mann rasiert sich elektrisch und nicht mit einem Rasiermesser".

In der Zwischenzeit hatten meine Schwägerin und meine Schwiegermutter per „Signal“ videochat angerufen und letztere fragte, was die Raubvögel vorhätten, woraufhin meine Frau und ich unisono antworteten: "Sie warten darauf, dass sich jemand beim Rasieren in den Hals schneidet".
Auf die Frage, wie viele Geier es denn seien, antwortete ich: "Frag nicht, du weisst doch, dass es nur acht sind".
Antwort in scherzhafter Anspielung nach dem Motto: 'Ich verschenke keine Geier, weil ich nur acht habe'. (Womit ich die Schwiegermutter belästige, die keine Gelegenheit auslässt, um nach 'cositas' zu fragen).

Vor Jahren hatten wir der jungen Tochter von Freunden eine Schachtel mit Schweizer Pralinen geschenkt, die sie neidisch hütete. Als ihre ältere Schwester sie fragte, ob sie ihr eine abtreten würde, sagte das Mädchen mit düsterer Mine Nein! Und auf die Frage ihrer Mutter, warum sie ihrer Schwester keine gebe, antwortete sie mit einem verdutzten Gesichtsausdruck und einer Selbstverständlichkeit "weil ich nur acht habe".
Von da an hat sich die Antwort in der Familie als Spruch eingebürgert, um zu sagen, dass man nichts zu entbehren habe.

Ende gut, alles gut. Ich habe den Bartschnitt ohne tödliche Verletzungen überlebt, die Raubvögel mussten nach einem Ritual (Die Raubvögel hielten etwa ein Dutzend Minuten lang die Stellung und zeigten abwechselnd majestätisch ihre maximale Flügelspannweite - ein wirklich beeindruckendes Schauspiel) enttäuscht und mit leerem Magen ihren Flug fortsetzen ;-)

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Beitrag von smokeout »

Raben Vögel... Sie sehen eher wie Geier aus und erinnern mich an jene, die ich in Spanien gesehen habe. Dort gibt es solche Vögel mit einer Spannweite von bis zu 6 Metern - majestätisch anzusehen. Interessanterweise sind sie dafür bekannt, intelligente und sozial komplexe Vögel zu sein. Sie können Werkzeuge verwenden, haben ausgeprägte soziale Strukturen und kommunizieren durch eine Vielzahl von Lauten. Danke für den Bericht!
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Eisbaer
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Beitrag von Eisbaer »

@Don Maximo: Ich möchte mich herzlich bei Dir für das Einbringen dieses neuen Themas hier im Forum bedanken. Deine aktive Beteiligung bereichert unsere Diskussionen ungemein, und ich freue mich sehr darüber.

Die Idee, sich selbst die Haare zu schneiden, hatte ich bereits während der Pandemie, jedoch habe ich sie immer wieder verworfen. Einen Tag bevor Du Deinen Beitrag geschrieben hast, habe ich mich schließlich dazu entschlossen, es zu versuchen, und dafür den Cortapelo bei Alkosto bestellt. Obwohl er in der örtlichen Filiale nicht vorrätig war, wurde mir zugesagt, dass er am morgigen Samstag geliefert wird. Ich bin gespannt darauf. Es fällt mir auf, dass das Sonderangebot, für das ich bestellt habe (mit einem Preisnachlass von guten 50.000 Pesos), inzwischen abgelaufen ist.

Im Internet gibt es zahlreiche Videos zur Handhabung, jedoch vielleicht hast Du noch einen Geheimtipp, insbesondere für jemanden wie mich, der es zum ersten Mal ausprobiert.

Ich freue mich bereits auf weitere Beiträge in diesem interessanten Thema und wünsche Dir vor allem viel Vergnügen beim Genießen des leckeren Eises, besonders bei dem heißen Klima momentan.
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CaribicStefan
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Beitrag von CaribicStefan »

Würdet ihr euch denn trauen Bilder von euren "Haarschneideversuchen" hier hochzuladen? ;-)
https://www.youtube.com/watch?v=GJm7H9IP5SU
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Eisbaer
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Beitrag von Eisbaer »

@CaribicStefan: Gute Idee, wenn die Zeit reif ist, machen wir ein neues Thema auf, in dem wir unsere Erfahrungen und Ergebnisse austauschen können. Allerdings möchte ich persönlich keine Bilder von meinen Haarschneideversuchen hochladen. Ich hoffe, das ist in Ordnung. Trotzdem bin ich gespannt, die Ergebnisse der anderen Teilnehmer zu sehen und von ihren Erfahrungen zu hören.
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Don Maximo
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Beitrag von Don Maximo »

@Eisbear, danke für die Blumen :-D , in der Hoffnung, die Forenmitglieder nicht zu langweilen, werde ich sehen, dass ich Beiträge verschiedener Couleur einstellen kann. Ernste Themen, soziale Fragen, die leider weniger heiteren Seiten des antioqueñischen Alltags, aber bestimmt auch etwas leichtere, fröhliche Beiträge und das Berichten von positiven Erfahrungen und Fakten.
Ich habe meinen Bartschneider den ich hier in Kolumbien nutze vor Jahren in der Schweiz gekauft, ich weiss nicht mehr wo, aber ich glaube, es war Lidl oder Aldi, als mein alter Panasonic kaputt ging.
Aber dann habe ich mir wieder einen Panasonic gekauft, an den ich gewöhnt war, und das Gerät aus dem Supermarkt nach Kolumbien gebracht. Alles in allem ist es gut, ausser dass ich zum Ändern der Schnittlänge die Abstandshalterung austauschen muss, damit, besonders hier im entspannten Umfeld, kann ich gut damit leben. Beim Panasonic hingegen kann ich die Schnittlänge mit einem einzigen Halter (Drehrad) einstellen.

Ratschlag ?!?: Mach das, was ich damals gemacht habe. Ich habe mir gesagt, dass ich keinen Schaden anrichten kann, da Bart und Haare (schneller als einem lieb ist) nachwachsen. In meinem Fall eine Halbwahrheit, wenn man meine Glatze bedenkt. Ich persönlich setze den Abstandhalter für die Haare zwischen 1 und 1,5 mm. Beim Bart erhöhe ich die Schnittlänge schrittweise von den Koteletten zum Kinn hin, um mein Vollmondgesicht auszugleichen.
Wenn ich daran zurückdenke, wie ich mir das erste Mal die Haare rasiert hatte (ich hatte bereits eine Glatze) und wie viel Mühe mir das bereitet hatte. Ich empfand es als eine gesellschaftliche Provokation, mir die Haare bis auf wenige Millimeter abzurasieren. Aber das hatte eher mit meiner traumatischen, konservativen, bürgerlichen Erziehung zu tun. Das waren noch Zeiten, als ich meine dritte Berufsausbildung begann, emanzipiert von meiner Familie und mit wirtschaftlichen Mitteln, die unterhalb jeder Armutsgrenze lagen.
Aber auch diese Zeiten habe ich überlebt, und wie man so schön sagt: Was dich nicht umbringt, macht dich stark.
Ironischerweise ist eine meiner Schwägerinnen Friseurin (und ich muss zugeben, eine gute) Zwei alte Freundinnen aus meiner Jugend in der Schweiz sind ebenfalls Friseurinnen. Aber im Laufe der Jahre habe ich eine Abneigung dagegen entwickelt, sie an meine Haare oder meinen Bart heranzulassen. Sie wollen meine Ohrhaare schneiden, meine Augenbrauen zurechtrücken und was weiß ich noch alles.

@CaribicStefan, es geht nicht darum, sich zu trauen, aber in diesem Sinne schliesse ich mich Eisbaers Antwort an. Ich ziehe es vor, ein paar Bilder von Vögeln oder Sonnenuntergängen zu posten, und ich versichere dir, dass sie zweifelsohne angenehmer für das Auge sind, als meine alte 'crapa pelada'. (auf Deutsch, Glatzkopf) wie sie in meiner Heimat genannt wird. https://www.youtube.com/watch?v=UdJaPIKSjtI
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Apuntes Paisa; Paisa Notizen.

Beitrag von Don Maximo »

Nach der Klammer des angenehmen Besuchs der Gallinazos, nun zwei Situationen, die ich erst gestern erlebt habe, die noch einmal die Kluft zwischen den sozialen Klassen und den unterschiedlichen wirtschaftlichen Möglichkeiten verdeutlichen, die @smokeout weiter oben zu Recht unterstrichen hat. (Und ich kann bestätigen, dass diese Entwicklung nicht nur Kolumbien betrifft. Ich habe letztes Jahr in der Schweiz und im italienischen Piemont ganz ähnliche Dynamiken aus nächster Nähe erlebt).
Die lange Periode des "Invierno", der anhaltenden Regenfälle, die - in mehr oder weniger intensiven Abständen - fast drei Jahre lang der aktuellen Situation der Hitze und in vielen Gegenden der Dürre vorausging, hatte in unser Gegend erhebliche Schäden an der Vegetation und den Plantagen verursacht. Auch wir sind davon nicht verschont geblieben. Hecken und Fruchtgehölze wurden zum Beispiel von einer Spezies parasitärer Moose befallen. Deshalb sind wir gestern zu einem 'Vivero' gefahren, um uns mit verschiedenen Pflanzen einzudecken, um die unrettbaren Pflanzen zu ersetzen.

Auf dem Weg von der Vereda hinunter nahmen wir eine Dame mit, die am Kiosko quer gegenüber unserer Einfahrt auf eine Mitfahrgelegenheit wartete. "Me van a dar una palomita?", das ist hier der übliche Ausdruck, um nach einer Mitfahrgelegenheit zu fragen. Die Dame, ich schätze sie auf Mitte 40 oder 50 (ich bin eine Katastrophe beim Schätzen des Alters), erzählte uns, wie sie vor zwei Jahren mit ihrem Partner in die Vereda gezogen ist und wie sie nach und nach das Rohbauhaus, in dem sie bereits wohnen, ausbauen. Dass sie bereits Wasser im Haus haben. Der Stromanschluss bleibt vorerst nur ein Wunsch, für dessen Verwirklichung sie Geld ansparen. Kein Strom, kein Kühlschrank, und ich hatte nicht den Mut zu fragen, wie sie kochen, aber ich nehme an, mit Holz.
Sie war auf dem Weg zu dem kleinen Krankenhaus im Pueblo, wo sie einen Termin für eine ärztliche Untersuchung hatte. Sie trug eine Tasche mit den wenigen Früchten, die ihr kleines Stück Land hergab, in der Hoffnung, dass ein Früchteverkäufer sie ihr abnehmen würde, um so die Fahrt ins Dorf zu kombinieren und zu rationalisieren.
Wir hätten nicht zum Pueblo hinunterfahren müssen, sondern an der Hauptstrasse in die entgegengesetzte Richtung fahren wollen. Aber ich konnte die gute Frau nicht einfach mitten auf der Straße absetzen, denn ich wusste, dass es für die andere Hälfte der Strecke kaum eine Chance gab, dass sie eine andere Mitfahrgelegenheit finden würde.
Also beschloss ich, sie bis zum Pueblo zu begleiten, mit der diplomatischen Lüge, dass ich diese Umleitung machen musste, da mir gerade aufgefallen sei, dass ich dringend Benzin auftanken müsse. Eine kleine Gefälligkeit meinerseits, die mich vielleicht 15 oder 20 Minuten kostete... für sie war es eine große Erleichterung und sie ersparte sich eine Menge Lauferei mit ihrer Tasche in der heißen Sonne.
Bei dieser Hitze zurück zur Vereda zu laufen, wäre ein Horror. Sie sagte, sie würde nach einer Mitfahrgelegenheit mit einem Motoraton suchen (das sind diese Piaggio-Dreiräder, die "Ape Calessino", die hier der einzige Taxidienst sind), aber die haben wegen der steilen Steigungen und der manchmal schlechten Straße Schwierigkeiten, nach La Vereda hinaufzukommen.
Der Aufstieg kostet derzeit 20.000 Pesos, und wenn sie nicht eine gute Seele findet, die sie mit hochfahren lässt, verpuffen die paar Pesos, die sie mit Zitronen und Orangen einnimmt, für die Rückfahrt.
Heute Morgen kam sie mit sechs Eiern!, den einzigen, die sie hatte, zu uns nach Hause, um sich dafür zu bedanken, dass ich sie gestern mitgenommen hatte (sie war besonders glücklich und geehrt, weil meine Frau ihr den Platz neben dem Fahrer, also neben mir, zugeteilt hatte)
Wie soll ich mich in so einem Fall verhalten? Die Eier anzunehmen hiesse, ihr das Wenige, das sie hat, wegzunehmen. Sie abzulehnen, wäre eine Beleidigung. Auch wollte sie nicht akzeptieren, dass ich ihr die Eier bezahle.
Jedenfalls werde ich in den kommenden Tagen, wenn ich meine Harepa mit Ei zum Frühstück esse, nicht umhin kommen, an sie zu denken. Und in Zukunft werde ich das morgendliche Ei sicher noch bewusster schätzen.

Auch gestern, am späten Nachmittag, hatte ich ein Erlebnis, das in krassem Gegensatz zu dem oben beschriebenen stand.
Ein grosser Teil unserer Finca ist Weideland mit ein paar Fruchtbäumen. Ein Viehzüchter hatte uns über seinen Majordomo gefragt, ob er von dem Gras Gebrauch machen könne, solange wir keine anderen Pläne mit dem Land hätten. Wir hatten zugestimmt, dass er das Gras (anscheinend ein begehrtes Weidegras) schneiden und verwerten darf, wenn er im Gegenzug das Land sauber hält und pflegt, einschliesslich der Pflege des Guadual. Er hielt sich jedoch nicht an die Vereinbarung.
Er kam und schnitt (bzw. seine Arbeiter), was ihm gerade passte, und liess alles in Verwahrlosung zurück.
Also liess ich ihm Anfang dieser Woche mitteilen, dass wir wieder selbst über das Land verfügen würden und dass er, wenn er Interesse an dem Gras hätte, das derzeit die optimale Schnitthöhe hat, spätestens in 10 Tagen kommen und es schneiden und abholen solle.
Gestern meldete sein Majordomo, dass sie nicht kommen können, um es zu mähen, da sie keinen Platz haben, um es zu lagern, aber - man beachte die Absurdität - wenn wir es mähen, würden sie kommen und es abholen.
Das würde ihm faktisch den Aufwand von vier oder fünf Tagen eines Arbeiters auf unsere Kosten ersparen.
Praktiken von Menschen, die jeden und alles ausbeuten, um den grössten Profit zu machen.
Der Ex-Mann einer meiner Schwägerinnen arbeitet inzwischen in einem dieser Betriebe, und ich weiss, welche Arbeits-, Verpflegungs- und Unterkunftsbedingungen in der Landwirtschaft und in der Region herrschen. In der Tat oft Bedingungen, die weit von den Leistungen entfernt sind, die einem aktuellen Mindestlohn entsprechen. Natürlich gibt es auch ehrliche und faire "Patrones", ich kenne selbst einige, aber sie sind eher die Ausnahmen als die Regel.
Ich habe also dem Viehzüchter durch seinen Majordomo wissen lassen, wie absurd sein Vorschlag ist. Entweder er hat den Platz, um das Gras zu Lagern, oder er hat ihn nicht. Und dass ja, ich mähe das Gras, aber dann verkaufe ich es zu einem Preis, der zumindest die Kosten für die Arbeit deckt, einschliesslich des Rückstands, der durch die mangelnde Pflege des Bodens entstanden ist, die er entgegen der Vereinbarung nicht übernommen hatte.

Hier finden wir genau die beiden Extreme, die armen und ehrlichen Arbeiter aus bescheidenen und unterwürfigen Verhältnissen (oder vielleicht wäre es ehrlicher zu sagen, aus erzwungener Unterwerfung), dessen Lebensbedingungen eher an einen Film der Sklaverei erinnern als an etwas anderes, und dennoch altruistisch sind; und auf der anderen Seite reiche "Patrones" von Fincas, egal ob Produktiv- oder Freizeitfincas, deren Lebensstandard selbst viele Angehörige der bürgerlichsten Schichten Europas erblassen lässt und die keine Gelegenheit auslassen, jedem den letzten Tropfen Blut auszusaugen.
Ich bin gespannt auf die Reaktionen, wenn ich am Montag damit beginne, das wertvolle Futtergras mähen zu lassen, das ich zu Saatbeeten für den Anbau von Gemüse und Hülsenfrüchten aufschichten werde.

In meinem nächsten Beitrag werde ich darüber berichten, wie sich so viele Menschen, leider auch in unserer Verwandtschaft, in eine chronische Verschuldung hineinmanövrieren, indem sie in die verführerische Falle des Ratenkaufes tappen. Ein Phänomen, das, wie ich leider feststellen musste, viel weiter verbreitet ist, als ich gedacht hätte. Als ich in den letzten Tagen erfuhr, dass eine "Dame", wie es scheint, diese Unglücklichen ausnutzt und Darlehen zur Tilgung anderer Schulden zu einem monatlichen Zinssatz von sage und schreibe 10 % vergibt, wurde mir das hoffnungslose Ausmass bewusst.
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smokeout
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Beitrag von smokeout »

Merci für den Bericht...

Hinweis:
Der Autor verwendet in seinem Text einige Spanisch Kolumbianische Begriffe

Vereda: Ein kleiner Weiler oder eine Siedlung in ländlichen Gebieten.
Kiosko: Ein kleiner Kiosk oder Verkaufsstand.
Palomita: Eine Taube, im übertragenen Sinne eine Mitfahrgelegenheit.
Motoraton: Ein Piaggio-Dreirad, das als Taxi verwendet wird.
Guadual: Ein Bambuswald.
Patrones: Landbesitzer oder Fincabesitzer.
Finca: Ein landwirtschaftliches Gut oder eine Ranch.
Harepa: Ein Fladenbrot aus Maismehl.

:-)

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Beitrag von Dolfi »

Danke für den interessanten Bericht. Genau das ist mir auch aufgefallen in Kolumbien: Einerseits die große Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, andererseits dies Gleichgültigkeit gegenüber den Mitmenschen und der Mangel an Gemeinsinn.
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Beitrag von Don Maximo »

Pyjamas auf Raten
Ich erinnere mich, wie ich vor etwa 25 Jahren zweimal hintereinander für ein paar Monate in die USA gereist bin, in ein Städtchen in South Dakota. Ich war dorthin gegangen, um der Gründung eines italienischen Restaurants/Pizzeria mit Rat und Tat beizustehen. Dort machte ich meine erste Erfahrung mit dem für mich damals so absurden Konzept der Kreditwürdigkeit, die auf der "Kredithistorie" basiert, also was in Kolumbien dem "historial crediticio" entspricht.
Konkret musste mein Freund, der damals mein Gastgeber war und vor kurzem in die USA gezogen war, trotz seiner privilegierten wirtschaftlichen Verhältnisse und seiner ausgezeichneten Liquidität erst einmal Schulden aufnehmen und Produkte und Dienstleistungen in Raten kaufen, die er sofort bezahlen konnte und hätte wollen, nur um zu beweisen, dass er kreditwürdig war, indem er die Raten pünktlich bezahlte. Sonst gab es keine Kreditkarte! Ich konnte es nicht glauben, aber so war es nun mal.
Auch in Kolumbien gibt es dieses zwiespältige Thema des "historial crediticio".

Ich werde euch in groben Zügen von der traurigen Dynamik eines Teufelskreises chronischer Schulden erzählen, aus dem es oft kein Zurück gibt und in den einige Mitglieder der Familie eines meiner Schwager geraten sind. Eine Situation, in der sich vermutlich Zehn-, wenn nicht Hunderttausende Kolumbianer befinden.

Vor etwa zwei Jahren beschwerten sich meine Schwiegermutter und eine meiner Schwägerinnen darüber, dass sie mehrmals pro Woche Anrufe von Finanzinstituten, von Falabella oder anderen Handelsketten erhielten, in denen es um Kreditangelegenheiten oder Zahlungsaufforderungen für überfällige Zahlungen von Ratenkäufen ging, die die Frau meines Schwagers oder sogar ihre unabhängige voreheliche Tochter getätigt hatten. Sie gaben die Telefonnummer meiner Schwiegermutter und meiner Schwägerin als alternative Kontaktmöglichkeit an. Eine sehr ärgerliche Situation, wenn man bedenkt, dass sie mit ihren Ratenzahlungen ständig im Rückstand waren (und immer noch sind). Sie selbst hüteten sich die entsprechenden Mahnanrufe zu beantworten. In der Zwischenzeit gehen zumindest keine Anrufe mehr bei anderen Familienmitgliedern ein, da sie ihnen untersagt haben, ihre Telefonnummer als alternativen Kontaktkanal anzugeben.

Ich werde nie vergessen, wie die Frau des Schwagers der jüngsten Tochter, einer der Nichten, einen schäbigen Pyjama gekauft hatte, der in 24 Monatsraten bezahlt werden sollte. Ich hatte mich vor Lachen gekrümmt, weil ich dachte, es sei ein Scherz. Aber nein, die "Verwandte" und die beiden Töchter erklärten mir stolz und fast von oben herab, dass sie den Schlafanzug kaufen mussten, um ihn in vielen kleinen Raten abzahlen zu können und so ihren "historial crediticio" aufzuwerten.
Und das alles nur, um neue Kredite zu bekommen, um neue, teurere Produkte zu kaufen, deren Raten sie wiederum in eine prekäre finanzielle Situation und nach ein paar Monaten (erneut) in die Insolvenz stürzen würden.

Die jüngste Tochter (Miss Pyjama) hat sich im letzten Sommer ein Handy für 2 mio. gekauft, nur eine Woche nachdem sie ihren allerersten Job bekommen hatte. In der dritten Woche wurde sie entlassen und konnte ihre Kreditverpflichtungen nicht mehr nachkommen, also wurde das Handy gesperrt. Natürlich hatte sie auch noch andere ausstehende Schulden, sowohl neue, als "Altlasten".
Im Januar fand sie einen neuen Job und sobald sie ihre überfälligen Raten beglicchen hatte, kaufte sie sich ein weiteres Handy, diesmal ein iPhone für über 4 mio., nach dem Motto "man leistet sich ja sonst nichts" und "das habe ich mir schon lange gewünscht". In diesen weniger als zwei Monaten hat sie sich auf eine wahre Kauforgie eingelassen. Eben am Wochenende habe ich mit meiner Frau darüber debattiert und befürchtet, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis sich die Nichte auf der Strasse wiederfindet, arbeitslos ist und nicht mehr weiss, wie sie die Kaufschulden bezahlen soll.

Gestern Abend spät rief uns ausgerechnet eine der Schwägerinnen an und bereitete, dass... die Nichte in Begleitung ihrer Halbschwester und ihrer Mutter anscheinend bei meiner Schwiegermutter vorstellig wurde (dem Treffpunkt der Familie), um ihrem Ärger Luft zu machen, weil sie ihrer Meinung nach bei der Arbeit keine Wertschätzung und Dankbarkeit erfährt. Der nächste Schritt ist geplant: In ein paar Tagen wird sie verkünden, dass sie unter diesen Bedingungen nicht zu bleiben gedenkt, und ein paar Tage später werden wir erfahren, dass man sie in Wirklichkeit schon gestern gefeuert hat.

In den letzten Monaten musste ich auf ärgerliche Weise erleben, wie viele Haushalte, vor allem die Cousins und Cousinen meiner Frau, buchstäblich in diesen traurigen Situationen der Verschuldung gefangen sind. Gleich am Tag meiner Ankunft auf der Finca erhielt ich zwei Anrufe mit dem Vorwand, uns willkommen zu heissen, aber mit dem offenkundigen Ziel, indirekt um ein Darlehen oder sogar eine nicht rückzahlbare finanzielle Unterstützung zu bitten.

Am Ende des Jahres und zur Weihnachtszeit waren viele dieser Verwandten zweiten oder dritten Grades tiefst verschuldet, hatten ihren Kredit für Ratenkäufe bereits ausgeschöpft und/oder konnten ihre Raten Ende Januar nicht mehr bezahlen. Also suchten sie nach neuen Barkrediten, um alte Schulden zu begleichen. Der Nagel im Sarg.
Eine traurige gesellschaftliche Realität: Im Gegensatz zu den Menschen, die unverschuldet und aus verschiedenen Gründen ein sehr bescheidenes Leben führen müssen, gibt es diese Gruppe, die ich "induzierte Armut" nenne.
Diese "Kultur", oder ich würde es eher als missionarischen "Konsumkult" bezeichnen, der von einer neoliberalen, von Ethik und sozialer Verantwortung entleerten Eliteschicht eingeführt und gefördert wurde, ist weitgehend dafür verantwortlich, dass sich zumindest eine bestimmte Art von Armut entwickelt hat.
Der "historische Kredit" dient nicht so sehr dazu, die Zahlungsfähigkeit von Schuldnern zu garantieren, sondern scheint eher ein Instrument zu sein, das eingeführt wurde, um die Gesellschaft zum Konsum zu erziehen. Vor allem in einem frühen Stadium gewöhnt sich der Verbraucher an diese Praxis des Kaufs auf Kredit mit Ratenzahlung. Ein Segen für den Handel und die Kreditinstitute. Und in Kolumbien fehlen mir in dieser Hinsicht definitiv Maßnahmen bzw. der Schutz vor hoher Verbraucherverschuldung.

Meiner Meinung nach ist das eine sehr alarmierende Entwicklung, denn diese Schulden beeinträchtigen oft ein viel grösseres Umfeld als man annehmen könnte und führen zu kompromittierenden Situationen in Familien- und Freundeskreisen.
Ende des Jahres erfuhr die Familie zum Beispiel durch ein versehentliches Versprechen des Schwagers (Lady Pyjamas Vater), dass er seine Wohnung im Familienhaus als Sicherheit an private Gläubiger gegeben hatte.

Zum Glück konnten wir noch rechtzeitig eingreifen und das Schlimmste verhindern. Da es sich um eine Familienwohnung handelte, wurde die Verpfändung für unrechtmässig und damit für nichtig erklärt.

Dann gibt es Menschen (und leider nicht wenige in unserer Grossfamilie), die der Familie einen Lebensstandard aufdrängen wollen, den weder sie noch die Familie sich leisten können. Ein konkretes Beispiel: Vor einigen Jahren hatten einige Cousinen meiner Frau die sympathische Idee, ein Treffen aller Cousins und Cousinen (und Gott weiss, wie viele es sind) zu organisieren.

Was als einfaches und angenehmes Treffen in der diskreten aber grosszügigen Finca eines Familienmitglieds gedacht war, die er freundlicherweise für das Treffen zur Verfügung stellte, wurde letztlich zu einem unverhältnismässigen Familientreffen in einer für ein langes Wochenende gemieteten Luxusfinca. Meine Frau, die zu der Zeit noch arbeitete, war aus der Schweiz angereist, um das Treffen mit einem entspannten Urlaub zu verbinden. Ich hatte nicht daran teilgenommen, weil ich berufliche Verpflichtungen hatte.
Ich war jedoch kurz über "Signal" per Video dabei und war nicht gerade begeistert.
Sie hatten teure Mützen, T-Shirts und andere Gegenstände mit dem Namen der Familie anfertigen lassen, was ich unverhältnismässig fand. Aber das war nur die Spitze des Eisbergs, wie sich herausstellte.

Nur eine Minderheit (die übrigens gegen ein Treffen in diesem Ausmass war) war schliesslich in der Lage, ihren Anteil an den Kosten wie vereinbart zu bezahlen.
Die lieben "Silicone & Botox" Cousinen, die das Treffen organisiert und das vereinbarte Budget stillschweigend um das Fünffache überschritten hatten, waren die ersten, die ihren Verpflichtungen nicht nachkamen. Offenbar hatten sie (für ihren Anteil) ein Barkredit Gesuch gestellt, der ihnen verweigert wurde.
Aber Menschen lernen nicht, und im darauffolgenden Jahr wollten sie die "Party" wiederholen und zu einem jährlichen Ereignis machen, obwohl sie heute noch die Schulden der dekadenten Versammlung vom ersten Jahr abbezahlen.
Und andere, bescheidenere Verwandte haben Angst, ausgeschlossen zu werden, als Spielverderber dazustehen und als asozial gegenüber der Familie angesehen zu werden, machen sie nicht mit. Das Treffen wurde nicht mehr wiederholt.

Dann gibt es noch die andere Seite der Medaille, die Leute - die ich offen verachte - die sich sagen: "Wer sich verschuldet, ist selbst schuld" (aber so einfach ist es nicht. Oft ist es ein Laster, eine Sucht, ein pathologisches Verhalten). Und sie nutzen diese Schwäche aus, indem sie diese armen Teufel bis zum letzten Tropfen ausquetschen, indem sie Kredite zu ethisch (und rechtlich) unhaltbaren Bedingungen gewähren. So wie sie es mit der Wohnung meines Schwagers versucht hatten, oder zwei angeblich "angesehene" Damen (die sich in Hilfswerken und soziale Institutionen profilieren!), die verschwiegen Kredite zu Zinsen von bis zu 10% vergeben, wohlgemerkt monatlich.
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Beitrag von Max »

Ich könnte Dir das wahnsinnig viele wahre Geschichten erzählen , aber das würde Std dauern aber das beschreibt es absolut. Wird sich nie ändern

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Was ist denn aus der Geschichte mit dem gras geworden
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Apuntes Paisa; Paisa Notizen.

Beitrag von Don Maximo »

@Max
Gestern hat unser Arbeiter mit dem Mähen begonnen. Das Gras ist hoch und sehr hart. Deshalb kommt er langsamer voran als erwartet. Weil er den Boden nicht kennt und vor allem nicht weiss, ob er auf Steine stossen wird, hat er es vorgezogen, mit Nylonfaden zu beginnen. Das gefällt mir aber wegen der Rückstände nicht besonders (wir arbeiten mit Überzeugung und Erfolg ohne Chemikalien und auf einer naturfreundlichen Linie, auch dank der Ratschläge eines Agronomen-Cousins und nicht zuletzt einiger guter Ratschläge meiner Mutter). Aber es scheint, dass der Boden relativ sauber ist und morgen fangen wir mit dem Messer an (auf dem Freischneider). Mit dem Gras will ich einen Kulturversuch auf 'Heu- Grasbeet' machen, wie Tomaten, Bohnen usw. Den Rest, also das meiste, schlug der Arbeiter vor, wir sollen es auf dem Boden lassen. Er verlangsamt das neue Wachstum und kann dazu verwendet werden, den Boden von den starken Unebenheiten zu sanieren, die durch die Kuhbeweidung vor eineinhalb Jahren entstanden sind. Zudem ist es Nahrung für den Boden.
In der zweiten Monatshälfte möchte ich mit der Pflanzung der neuen Fruchtbäume beginnen.
Die kleine Finca ist dankbar, man kann deutliche Verbesserungen sehen, seit wir sie übernommen haben. Der frühere Besitzer hat den Verkauf bereits bereut und ist ernsthaft daran interessiert, sie zurückzukaufen, "bien venga".
Virtus Junxit Mors Non Separabit
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Don Maximo
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Apuntes Paisa; Paisa Notizen.

Beitrag von Don Maximo »

Kindheitserinnerungen.
Sonntagabend, fast 11 Uhr. Heute* hatten wir endlich einen bewölkten, trockenen Tag mit angenehmen Temperaturen. Es war mein Geburtstagswochenende*, und den vielen, die mich fragten, was ich mir wünschte, antwortete ich ganz unverblümt, dass ich mir einen Tag in Ruhe wünschte! Einen Tag für mich selbst, ohne dass mich jemand ständig mit trivialen Fragen belästigt oder auf die Idee kommt, mich bemuttern zu müssen.
Also schaltete ich am Freitag, meinem Geburtstag, mein Handy usw. aus und verbrachte den Tag damit, bei der Gartenarbeit Dampf abzulassen. Abends habe ich mit meiner Frau zu Abend gegessen, die mich verwöhnt hat - nach einem Aperitif mit Schinkencroissants und die ich auf Vorrat vorbereitet und tiefgefroren hatte - mit einem Poulet 'Cordon Bleu', wie nur sie es zuzubereiten weiss, begleitet von Knusprigen Rosmarin Kartoffeln. Alles natürlich begleitet von einem guten Schaumwein und Rotwein.
Samstag Morgen ging sie dann hinunter in den Pueblo, und ich genoss diese zwei Tage der einsamen Ruhe auf der Finca.
Abends widmete ich mich dem Giessen der neuen Heckenpflanzen, die unser Mitarbeiter der Finca in den letzten Tagen mit so viel Hingabe gepflanzt hatte. Gleichzeitig bewunderte ich freudig den weiten Rasen um das Haus, den ich tagsüber mit dem Rasenmäher gemäht hatte, leuchtend grün, im Gegensatz zu den Rasenflächen der benachbarten Fincas, die mit dem üblichen Fadentrimmer bis zur Unkenntlichkeit massakriert werden. Dann der Sonnenuntergang mit seinem Lichtspiel in den Bäumen, der Wiese und dem Guadual der Finca, auf den umliegenden Hängen und Berggipfeln und die Dämmerung und mit ihr unweigerlich die Aufmerksamkeit auf die Geräusche und die Erkenntnis, von wie viel Leben man umgeben ist.

Dabei kommen lebhafte Erinnerungen an meine Kindheit auf, als ich die Sommer hoch oben an den grünen und wilden Hängen der Maiensässe in der Südschweiz verbrachte. Und wie von Zauberhand erscheinen plötzlich winzige Sterne, die über die Wiese schwebten....
Ich hatte schon vergessen, dass es sie gibt, ich habe sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen... Sie waren in der Landschaft meiner Kindheit weit verbreitet, heute sind sie dort nur noch eine Erinnerung, es sind die Glühwürmchen.
Wie in einem Traum, wie von Zauberhand, scheint es, dass Du aus einfachen Kindheitserinnerungen in jene unschuldige, fast märchenhafte Welt der Kindheit zurückkehrst. Jene Welt, in der es die leuchtenden Funken der Zauberstäbe der Feen gibt, wie mir meine Grossmutter liebevoll zu erzählen pflegte, immer wenn ich sie fragte, was diese kleinen leuchtenden Dinger (Glühwürmchen) sind.

Und für einen Moment war es, als ob meine liebe Grossmutter an meiner Seite wäre (Sie starb vor einem Jahrzehnt, ein paar Tage vor ihrem 102. Geburtstag)
Ein runder Geburtstag und ein zufälliger Umstand, der mich auf eine unerwartete, aber angenehme Weise in die Vergangenheit führte. Kein Geschenk hätte diese - wenn auch bescheidene - Erfahrung der Versetzung in die Vergangenheit übertreffen können.

*PS. Das Wochenende, um das es geht, war letztes Wochenende, ich poste diesen Beitrag mit einer Woche Verzögerung.

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