
In Pereira angekommen nahmen wir diesmal ein Taxi, zum Haus von Juans Mutter. Ich kann nicht sagen, dass ich Busse besonders komfortabel empfinde, es ist mir doch schnell zu eng....deshalb war ich froh, mit weit geöffnetem Fenster über die große Brücke nach San Francisco - äh nach Pereira City zu fahren. Die Straßen gehen rauf und runter, zum Teil recht steil. Ich schaute viel auf den Fuß des Fahrers, weil ich wissen wollte, ob er wirklich dauerhaft auf der Bremse steht. Wie oft die wohl ausgetauscht werden müssen...? Ich kann auch kein System finden, wer wann Vorfahrt hat bzw. es halten sich ja nicht so viele dran. Manchmal wurden wir halsbrecherisch von einem Motorrad überholt, Fußgänger machen, wenn ihnen ihr Leben lieb ist, jedem Auto überall Platz. Autos sind ein bisschen wie Revolver, wer einen hat, bestimmt wo es lang geht. Erstmal.
Aus einem gewissen Blickwinkel ähneln sich die Städte. Es gibt überall mit Metallgittern geschützte Läden, Karren mit Süßigkeiten, Handyminuten zum Sonderangebot, viele Schilder, Menschen, offene Türen, Musik, Lärm, kaputte Straßen und Wege, vorbeirasende Autos und Transporter, Motorräder und Motorroller, Müll, Straßenhunde, Obdachlose und immer wieder Straßenhändler mit ihren mobilen Fahrradgrills oder Saftständen auf dem Gepäckträger. Auch Pferdekutschen gibt es, wobei das wohl so nach und nach durch Autos ersetzt werden soll. Hm. Einprägend sind auch die Geräusche. In den Städten hört man immer und überall, mindestens aber hier und da Marktschreier, Leute, die ihre Wahre anpreisen bzw. sich ankündigen, um für ein paar wenige Pesos fünf Apfelsinen oder ein Bund Gemüse anpreisen. Das Gemüse, das ich in einigen Läden gesehen habe, würde man, um es mal hart auszudrücken, hier nicht mal mehr an die Tafel weitergeben. Dort wird es verkauft und vor allem gekauft. Irgendwas lässt sich immer draus machen und mit entsprechenden Gewürzen gekocht, zerdrückt, verbacken macht das keinen so großen Unterschied.
Ich war gespannt, was mich erwartet und wo mein Freund sein Zuhause hat. Eine von den vielen Türen, die unmittelbar an auf dem Bordstein grenzen, gehörte schließlich zu unserem Ziel, Mutter und Schwester kam freudestrahlend und neugierig zu uns. Endlich lernen wir uns kennen.
Wir reden nicht viel - wie auch, aber ich bemühe mich. Und es gibt mindestens ein Wort, was ich kenne :
Hola Das versteht jeder. Eine Treppe führte uns nach oben. Wenn man keinen elektrischen Türöffner besitzt, braucht man auf den gewünschten Komfort dennoch nicht zu verzichten. Ein Band führt durch Haken an der Wand die Treppe nach unten, einmal um die Ecke bis zum Türriegel, und schon kann man diesen von oben zurückziehen und damit den Eingang gewähren. Wer vor der Tür steht, sieht man ja vom Geländer am Zimmerfenster aus. Selbiges befindet sich genau über der Haustür. Prima. So mache ich das auch. Was funktioniert, geht. Wer heilt, hat Recht. Geht nicht gibt es nicht - mein Lebensmotto, nein eins von mehreren meiner Lebensmotten

...
Oben angekommen ging es erstmal ins Wohnzimmer. Das unterscheidet sich schon von dem, was ich mir vorgestellt habe und wie ich es von Zuhause kenne (ach…). Sofa und Sessel um den Tisch - fertig. Wo bitte ist der Fernseher? Jetzt, wo ich suche, was die Unterschiede sind, muss ich richtig überlegen, ist es eigentlich nur der Fernseher oder nicht mal der, jeder kann den ja hinstellen wo er will. Also eigentlich gar nichts. Doch, es gibt etwas. Es ist kühler. Kühler eingerichtet, denn es ist ja dauernd warm. Es ist ein bisschen wie auf ein Leben draußen ausgerichtet. Wobei das so ja nicht stattfindet, aber auch das stimmt nicht. Man geht immer wieder mal in die Stadt, hierhin, dahin, und dann wieder zurück in die Wohnung. Nein, das ist es auch nicht. Es gibt noch etwas Fühlbares. In Deutschland trifft man sich während des Konsums von Fernsehen, Essen vor dem Fernseher, Musik hören, also nebenbei, und kommt damit auch nicht so schnell in Versuchung, jemand anderen zu schnell auf den Fuß zu treten. Hier sitzt man sich wirklich nichts tuend gegenüber und konfrontiert sich. Oder ist es das auch nicht? Ich sehe keine Zeitung - wann bitte lese ich bei mir mal Zeitung??? und keine Kreuzworträtsel - bitte sowas hab ich auch nicht. Keine Naschis - ha, jetzt hab ich was, nee die hab ich auch nicht so rumliegen. Keine Kuscheldecken - die ich jetzt nicht brauchen würde. Teppich? Fehlanzeige. Der würde die schönen Fliesen überdecken und wäre auch viel zu warm. Ich könnte die Einrichtung auch nüchtern nennen, oder übersichtlich. Müsste ich hier einen Umzug machen, stelle ich mir vor, alles in einer Tour mit meinem VW Bus zu transportieren, und zwar alleine (ist klar), was natürlich Unsinn ist. Keine einzige Überflüssigkeit liegt oder steht herum. Funktionell? Ich könnte fast sagen nordisch. Spartanisch. Keine Ahnung, was ich machen soll. Eigentlich ist alles vollkommen und ganz normal.
Und dann plötzlich weiß ich es : ich bin hier fremd.
Juans Mutter tat das, was auch ich und wohl jeder in dieser Situation tun würde - sie zeigte mir die Wohnung.
Dabei erzählte sie einfach drauf los, als hätte ich schon einen sechs Jahre dauernden Spanischkurs hinter mir. Ich verstehe maximal Bruchstücke. Badezimmer, Schlafzimmer, Küche....
Oh man, was mache ich, wenn ich durstig bin? FRAGEN ...

Ich möchte ins Bett. Einfach erstmal kurz rausziehen. Schreiben. Ein Band knüpfen, mich in meine Farben flüchten. Aber so einfach mache ich mir das nicht. Es gibt Essen, und Hunger haben wir. Im weiteren Verlauf „unterhalte“ ich mich mit Juans Schwester und Cousine. Ich male die Tiere auf, die ich habe (sie ist 17…), und sie sagt mir, wie das auf Spanisch heißt und umgekehrt. Wir waren eine ganze Weile damit beschäftigt. Und obwohl es für sie vielleicht ein bisschen langweilig war, machten sie unsere Kommunikation auf diese Weise möglich.
Ein paar Fotos vom Amazonas habe ich auch zu bieten, doch es sind auch die besagten Toilettenfotos dabei, die ich natürlich nicht aussortieren konnte. Das war nun doch recht befremdlich für die Mutter und die beiden Mädchen und mir irgendwie peinlich. Gehe ich bei mir in den Garten oder warum muss ich kolumbianische Toiletten dokumentieren? Ich kam mir plötzlich so unzivilisiert vor. Juan hat sein Bestes getan, um das aufzuklären und uns Deutsche nicht in einem ungünstigen Licht dastehen zu lassen, sondern rüberzubringen, dass das wirklich eine persönliche Macke von mir ist. Wir lachten bei der Vorstellung, dass ich nun auch das Familienbad aufnehmen würde. Irgendwann hatte man sich beruhigt.
Und dann kam etwas, was mir wirklich das Herz sehr weit öffnete:
Sie hatten einen Welpen.
Forsetzung folgt