Als deutscher Rentner nach Kolumbien ausgewandert


Zacarias
Kolumbienfan
Kolumbienfan
Offline
Beiträge: 104
Registriert: 8. Nov 2023, 17:30

Als deutscher Rentner nach Kolumbien ausgewandert

Beitrag von Zacarias »

⇒ Letzter Beitrag der vorhergehenden Seite:

Gordito hat mit seiner schönen Geschichte die Messlatte schon ziemlich hochgesetzt. Da reiche ich mit meiner nicht ansatzweise rann.

Zacarias
Kolumbienfan
Kolumbienfan
Offline
Beiträge: 104
Registriert: 8. Nov 2023, 17:30

Als deutscher Rentner nach Kolumbien ausgewandert

Beitrag von Zacarias »

gordto - wir vermissen deinen schönen Wochenrückblick. Hoffentlich geht es Dir und deiner Herzensdame gut.
Benutzeravatar

Themenstarter
gordito54
Verified
Kolumbienfan
Kolumbienfan
Offline
Beiträge: 240
Registriert: 9. Jul 2021, 09:11
Wohnort: Cartago/Valle
Alter: 70

Als deutscher Rentner nach Kolumbien ausgewandert

Beitrag von gordito54 »

@Glboetrotter: Ich bin zwar neu hier in Colombia, fühle mich aber wohl. Zu Gute kommt mir jetzt das halbe Jahr Türkei. Ich war damals als Garantie-Ingenieur für 2 Kraftwerksblöcke in Can (Nahe der Ägais) eingesetzt. Danach habe ich das franz. Unternehmen verlassen. Das war auch richtig. Wenig später die Franzosen das ehem. deutsche Unternehmen an GE in die Staaten verkauft worden und die haben den Laden in Stuttgart sofort zugemacht. Ich mußte das halbe Jahr klarkommen ohne ein Wort türkisch, aber es ging ganz gut, denn auf der Baustelle wurde englisch gesprochen.
@Zacarias: ich schreibe in loser Folge alle 1-2 Wochen. Heute ist wieder eine gute Gelegenheit dazu.

Warum?
Meine Frau ist wieder beim Informatikkurs für Senioren. Das ist nötig, damit sie mit meinem Anwalt alles für ihre Witwenrente in D regeln kann, wenn ich mal tot bin. Dazu muß man PC-Kenntnisse haben, den DeepL-Übersetzer bedienen können, drucken können und ein E-Mail-Postfach haben. Sie muß auch wissen, wie man ein pdf-Dokument macht. Hier in der Familie fummeln sie alle mit whatsApp rum. Das reicht aber bei weitem nicht für den kontakt nach Deutschland. Auch nicht für die Korrespondenz mit meiner Übersetzerin in Erfurt.
Meine Frau hat eine E-Mailadresse, die sie auch allen mitteilt, die danach fragen. Ich habe derer drei. Eine für Werbung, eine für wichtige Post und eine Reserve. Sie kennt Ihre E-Mailadresse natürlich, leider aber das Passwort nicht mehr und dort ist auch eine alte spanische Telefonnummer hinterlegt, die sie schon lange nicht mehr hat. Das Postfach muß schon überfüllt sein, denn sie hat ja nie reingeschaut. Es geht also nicht anders, sie muß montags und dienstags nachmittags auf die Schulbank.

Neulich auf der Bank.....
Meine Gute hat die monatliche Miete von 1 Mio COP für ihren Sohn einzahlen wollen. Hier bei unserer Hausbank sind die Schalter dazu im 1. Stock. Ich habe mich im Parterre hingesetzt und auf sie gewartet. Es ging und ging nicht voran. Endlich war sie zurück und sagte mir, daß wir zur Polizei müßten. Was?!???!
Wir haben die Bank verlassen. Sie ist schnurstracks auf die mobile Wache zu, die tagsüber am Parque Bolivar steht. Sie hat dem Streifenführer kurz berichtet, daß die security in der Bank um Hilfe gebeten hat. Ein Ausländer hat Streß gemacht und in der Bank am Schalter telefoniert (Anmerkung: das ist streng verboten, denn Kriminelle haben im Foyer die Kunden beschrieben, die viel Geld abgehoben haben und dies per Handy den außenstehenden Komplizen mitgeteilt, die dann die Kunden abgefangen und ausgeraubt haben.)
Der Streifenführer hat per Funk seine beiden Kollegen angefordert, die kamen auch umgehend. Die drei sind in die Bank und haben den Ausländer nach wenigen Minuten nach draußen begleitet. Die security war an diesem Tag eine zierliche Frau, die mit der Situation völlig überfordert war.

Kartoffelsalat....
Hier kannst du kleine oder große Kartoffeln kaufen. Lästige Unterschiede wie festkochend oder mehlig sind hier unbekannt. Es gibt große Kartoffeln ohne Erde, aber ungewaschen oder im Sonderangebot mit etwas Erde dran ohne Aufpreis. Die kleinen kann man prima dünsten und mit Salz und Butter geniessen. Die großen schält man und kocht sie für Kartoffelsalat zum Beispiel. Erst nach dem Kochen siehst du, was sich für deinen Kartoffelsalat eignet. Dabei muß man zwischen "deutschem" und kolumbianischen Kartoffelsalat unterscheiden. Ich schneide zum Erstaunen meiner Frau die festen gekochten Kartoffeln in kleine Stücke und verarbeite sie erst dann weiter. Bei ihr ist das wurscht, ob fest oder mehlig. Die Kartoffeln werden mit der Gabel zerquetscht. Danach geht es aber fast gemeinsam weiter:
Sie: Zwiebel, Mayo, Thunfisch, leicht salzen, gekochte Eier gewürfelt und fertig in der ensalada rusa.
Ich: rote Zwiebel, Mayo, etwas Salz, Gewürzgurken und gekochte Eier in kleine Stücken.
Gut unterheben und ab in den Kühlschrank. Am nächsten Tag: lecker.
Wir entscheiden uns immer öfter für die Variante 2. Auch der Verwandtschaft schmeckt es.

Kriminalität....
Vor einigen Tagen ist eine Schwester meiner Frau zu Hause überfallen worden. Sie hat sich nach Kräften gegen die versuchte Vergewaltigung gewehrt und um Hilfe gerufen. Die Nachbarn haben den Mann überwältigt und der Polizei übergeben. Sie kam wegen ihrer Blessuren ins Krankenhaus, ist aber schon wieder zu Hause.

Frühkindliche Erziehung....
Liliana, eine Freundin des Hauses Hernandez, hat eine dreijährige Enkelin. Das Kind kann schon ein kindgerechtes Tablet bedienen. Alle sind mächtig stolz darauf, denn die Kleine drückt einen Knopf auf dem surface und irgendwas dudelt. Ich hielte ein Malbuch ohne Gedudel für kindgerechter, aber das liegt sicher an meinem Alter.... Den Kindern etwas vorzulesen, gibt es wohl nicht mehr....das liegt sicher auch daran, daß sich die kids nicht mehr länger als höchstens drei Minuten auf irgendwas konzentrieren können. Die Alten aber auch nicht. Wenn ich was gefragt werde und antworte, ist nach drei Worten meinerseits Schluß, dann ist schon was anderes wichtig. Daher besucht meine Frau ihre Familie in der Regel auch alleine.

Eine Schwester meiner Frau wohnt in einem Viertel, in dem ich nicht beerdigt sein wollte, geschweige denn wohnen. Sie backt Nachmittags Arepas, die sie verkauft. Das machen dort etwa alle 50m entfernt alle. Merke: je größer das Elend im Barrio, umso dichter liegen diese Arepa-Stände zusammen. Im estrato 4 und höher ist nicht einer zu finden. Warum? Was willst du daran verdienen?
In diesem Haushalt ist ein Mädchen (Frau wäre geschmeichelt) schwanger. Es turnen aber schon zwei kleine Kolumbianer dort herum. Spielzeug, auch aus Plastik? Fehlanzeige. Hefte, Bücher gar? Nichts. (Wir sind hier der einzige Haushalt mit Büchern.) Als ich die beiden Kleinen das letzte Mal sah, habe sie mit Holzlatten, die sie offenbar auf der Straße fanden, aufeinander eingedroschen. So wird man auch für's Leben fit.

Endlich etwas Regen.....
Seit etwa dem 21.03.-also Frühlingsbeginn in Europa- regnet es hier in Cartago fast täglich. Nicht durchgängig, aber immerhin. Erst gestern hat es am späten Nachmittag gegossen wie aus Eimern. Die Regenmengen sind prima für die Natur, sie werden allerdings nicht die ausgefallenen Niederschläge der Monate Oktober und November wettmachen. Die Situation beim Trinkwasser und der Stromerzeugung bleibt damit wohl angespannt. Sie wird sich zur Jahresmitte nach meiner Einschätzung drastisch verschärfen (siehe Spanien) und ich rechne auch mit Rationierungen in Wasser und Strom, wenn es weiterhin so bleibt. Die Speicher sind den Nachrichten zufolge noch zu rund 30 % voll. Das reicht nicht für einen trockenen Sommer.

Das wären für heute die für den Rest der Welt völlig unbedeutenden Nachrichten aus Cartago/Valle. In etwas einer Stunde wird es wieder dunkel.....

Ich grüße Alle in Nah und Fern und grüße Alle sehr herzlich!
gordito54

Empanadafan
Kolumbienfan
Kolumbienfan
Offline
Beiträge: 195
Registriert: 27. Aug 2023, 17:32

Als deutscher Rentner nach Kolumbien ausgewandert

Beitrag von Empanadafan »

Diese Berichte lese ich gerne. Vielen Dank

Respekt
In diesen Gebiet sind da nicht Rebellen?
Benutzeravatar

Themenstarter
gordito54
Verified
Kolumbienfan
Kolumbienfan
Offline
Beiträge: 240
Registriert: 9. Jul 2021, 09:11
Wohnort: Cartago/Valle
Alter: 70

Als deutscher Rentner nach Kolumbien ausgewandert

Beitrag von gordito54 »

@Empanadafan:
In Valle de Cauca, das ist hier der "Regierungsbezirk" in dem Cartago liegt, gab und gibt es Kämpfe im ländlichen Bereich zwischen dem Militär und bewaffneten Gruppen. Das wird hier in den Fernsehnachrichten auch nicht verheimlicht, im Gegenteil.
Weder aus Cartago noch Pereira ist mir etwas in den letzten Monaten dazu etwas bekannt geworden, da gibt es nur die "normale" Kriminalität. Schlimm genug.

Die Entscheidung zum Auswandern ist individuell und von so vielen Faktoren abhängig, daß ich keinem pauschal zu- oder abraten kann. Bei mir hat es halt nach Abwägung aller für uns relevanten Faktoren gepasst. Daher gibt es auch nichts zu bereuen, im Gegenteil, ich bin froh, hier zu sein.
Meine Bindungen an Deutschland gehen gegen Null. Familie oder Freunde können mit mir per Skype oder whatsapp reden oder herkommen, wenn sie wollen. Bisher wollte niemand. Mein Steuerberater und Rechtsanwalt in Duisburg regelt für mich, was mit den Rentenversicherungsträgern zu regeln ist. Mit den heutigen Möglichkeiten der Kommunikation und der Flugreisen ist es eigentlich ziemlich egal, wo du auf der Welt wohnst, solange es einigermaßen sicher und bezahlbar ist und die Lebensqualität für DICH stimmt. Wer Wert darauf legt, Familie und Freunde auch regelmäßig umarmen zu müssen, bleibt besser in D. Ich brauche das nicht.

Meine Reportagen schreibe ich gerne. Ich bemühe mich dabei, meinen Alltag hier abzubilden, damit der, der mit dem Gedanken "Colombia" spielt, abschätzen kann, was ihn hier erwartet.

Ich bin hier deutscher Einzelkämpfer, der nächste Deutsche lebt in Armenia.

Geniesst euer Leben, jeder Tag ist ein einmaliges Geschenk!
gordito54
Cartago/Valle

Nico
Verified
Kolumbien-Süchtige(r)
Kolumbien-Süchtige(r)
Offline
Beiträge: 652
Registriert: 21. Jul 2014, 20:43

Als deutscher Rentner nach Kolumbien ausgewandert

Beitrag von Nico »

Danke @gordito54. Immer wieder informativ und interessant, deine Beiträge zu lesen.

hollaho
Kolumbienfan
Kolumbienfan
Offline
Beiträge: 126
Registriert: 22. Sep 2016, 08:15

Als deutscher Rentner nach Kolumbien ausgewandert

Beitrag von hollaho »

@gordito
Du hast absolut ein Auge für interessante Details und berichtest herrlich offen und schonungslos. Danke.

Die Ecke, wo du wohnst, hab ich auch schon besucht und bin da auch in etwas ländlichere Gegenden (bei Ansermanuevo und in den Bergen hinter Viterbo) gewesen, mir als Touri ist nix besonders Böses aufgefallen. Bekannt ist mir nur, daß die Ecke bei Palmira und südlich nicht koscher ist.
Ich welche(n) Ecken brennt es denn dort aktuell genau?
Benutzeravatar

Themenstarter
gordito54
Verified
Kolumbienfan
Kolumbienfan
Offline
Beiträge: 240
Registriert: 9. Jul 2021, 09:11
Wohnort: Cartago/Valle
Alter: 70

Als deutscher Rentner nach Kolumbien ausgewandert

Beitrag von gordito54 »

@hollaho
Danke für die Blumen....
In den Fernsehnachrichten ist allg. von Valle de Cauca die Rede. Neulich wurde wohl ein Rebellenstützpunkt komplett per Luftschlag ausgeschaltet, auch das wurde gezeigt. Wo genau das war, habe ich mir nicht gemerkt, jedenfalls war es nicht Cartago und Umgebung.
Da ich weder Auto noch Moto habe, komme ich noch nicht ins Umland...
Sorry, das ist unbefriedigend, aber mehr kann ich leider dazu nicht sagen... schau doch mal bei Caracol rein, vielleicht findest du was dazu.
Gruß
gordito54
Benutzeravatar

Themenstarter
gordito54
Verified
Kolumbienfan
Kolumbienfan
Offline
Beiträge: 240
Registriert: 9. Jul 2021, 09:11
Wohnort: Cartago/Valle
Alter: 70

Als deutscher Rentner nach Kolumbien ausgewandert

Beitrag von gordito54 »

Guten Morgen aus Cartago/Valle an alle nah und fern!

Heute möchte ich mal was zum Thema Gesundheitsversorgung erzählen.
Wir sind bei der Nueva EPS "grundversichert" und haben einen "plan complementario" (Zusatzleistungen) bei der salud integral.
Meine Frau hat im Moment etwas Last mit ihrem Knie. Es dürfte eine altersbedingte Arthrose sein. Das hatte ich im letzten Jahr. Nun kann man damit zur Krankenkasse gehen und sich einen Termin in der örtlichen Klinik geben lassen. Oder man ruft bei der Zusatzversicherung an, denn auch wegen der hausärztlichen Betreuung haben wir uns dafür entschieden. Nachmittags hat meine Holde also angerufen. Sie bekam die Zusage, daß in drei Stunden ein Arzt da sein sollte. Dem war auch so. Abends suchte uns ein junger Mediziner auf. Er nahm sich ca. 20 Minuten Zeit für meine Frau, gab ihr eine Tablette -ein starkes Schmerzmittel- und stellte ein Rezept über drei weitere Medikamente aus. Damit sind wir zur farmacia unserer Wahl (wegen der Peisgestaltung) gefahren. Er sagte meiner Frau beim Gehen, wenn das alles nicht zur Besserung ausreicht, Termin in der clinica machen und das Knie röntgen lassen. Die Rechnung für diesen Einsatz haben wir noch nicht erhalten, sie wird aber bezahlbar sein.

Mein Hausarzt in Deutschland war auch Geschäftspartner, da Arbeitsmediziner. In der Praxis bin ich immer wie Privatpatient behandelt worden, obwohl ich stinknormaler Kassenpatient war. Trotzdem hätte er mich bei der Bitte um einen Hausbesuch gefragt, ob meine Frau denn nicht transportfähig sei, was sie ja ist und war. Seine Mittagpause hat er nämlich für Hausbesuche genutzt bei Patienten, die es wirklich nötig hatten.

Freitag nach der siesta sind wir zu einem Krankenbesuch nach Pereira aufgebrochen. Der junge Mann in der Clinica San Rafael, die der Nueva EPS gehört, ist Anfang 20 und hat gerade sein Medizinstudium begonnen. Seine immer wieder auftretenden Herzprobleme haben den Aufenthalt im Krankenhaus nötig gemacht. Morgen wird per Sonde via die Blutbahnen das Herz untersucht. Ein modernes Verfahren. Dabei ist er ist schlank und sportlich, also das Gegenteil von mir.
Das Krankenhaus ist ein moderner Bau, Kellergeschoß mit Notaufnahme (wegen der Anfahrt der Ambulanzen) Parterre und darüber 9 Etagen.
In der Clinica angekommen, hat man sich an der Information anzumelden. Eine Mitarbeiterin macht nichts anderes, als die Besucherströme zu erfassen und zu organisieren. Pro Patient sind zwei Besucher zugelassen. Daher mußten wir erst warten, bis die Schwester meine Frau und die Novia des Patienten ausgecheckt hatten und vor uns standen. Dann wurden unsere cedulas (Ausweise) erfasst und wir bekamen einen Besucherausweis. Mit dem sind wir zur Sperre (Drehkreuz) gegangen und die Kontrolleurin lies uns eintreten. Die ebenfalls anwesende security hat freundlich genickt, ich bin ja als Ausländer sofort erkennbar. Wir habe einen der vier (funktionierenden!) Aufzüge betreten, der uns in die 5. Etage brachte.
Die Flure sind groß, hell und gut beleuchtet. Das 2-Bett-Zimmer hat eine durchgängige Fensterfront, die man von innen beschatten kann. Die Fenster lassen sich nur einen Spaltweit öffnen, seit ein Kind aus dem 5. Stock (Kinderstation) gefallen ist.
Das Patientenbett ist erkennbar neueren Datums.
Ein Vergleich mit dem, was ich noch aus den Krankenhäusern in Duisburg, Kamp-Lintfort und Wesel kenne, fällt eindeutig zu Gunsten Kolumbiens aus. Alles ist hell, neu und sauber. Es stinkt nicht. Keine Horden von Großfamilien in den miefigen Dreibettzimmern. Kein Krankenhaus aus der Kaiserzeit, daß schon lange abgerissen gehört. Und das alles ist hier möglich trotz der geringen Beiträge in das Gesundheitssystems. Respekt.
Ich hatte während des Besuches Gelegenheit, aus dem Augenwinkel eine Reinigungskraft zu beobachten, die das Nachbarbett desinfizierte. Sie hat alles abgewischt, was erreichbar ist und sogar die Fußwand zur Reinigung abgezogen. Insgesamt war sie damit fast eine halbe Stunde befasst. Sie gehört zum Klinikpersonal, nix Dienstleister. So, wie sie gearbeitet hat, muß sie sorgfältig unterwiesen worden sein. Also in der Summe nix flottiflotti, 180 Sekunden und das muß reichen, weil das Budget nicht mehr hergibt.
Eine persönliche Anmerkung sei mir gestattet: Viele Deutsche, die das Land nur zum Urlaub verlassen, glauben ja wirklich, sie hätten das beste Gesundheitssystem der Welt. Bei allein über 20.000 toten Patienten jährlich in den deutschen Spitälern nur durch die multiresistenten Krankenhauskeime (da sind die, denen "nur" Gliedmaßen amputiert wurden nicht dabei) kann das ja nicht stimmen. Als Deutscher kommst du daher bei einer Krankenhauseinweisung in den Niederlanden sofort auf die Isolierstation.
Das war jetzt mein zweiter Klinikbesuch hier in Colombia. Mein Eindruck war in beiden Fällen sehr positiv. Ich frage mich danach immer nachdenklich, welches jetzt das "Schwellenland" ist.
Beim Verlassen der clinica gibt man seinen Besucher-Pass wieder ab. Die Kontrolle von Handtaschen, Tüten und Gepäck ist obligatorisch. Dar papaya, das muß sich in den Köpfen noch ändern. Ich werde das aber nicht mehr erleben.

Freitagnachmittag in Pereira, das ist Verkehrskollaps. Wir waren froh, als wir wieder im Rumpelbus des Collectivo del Cafe saßen. Die Rückfahrt dauerte eine halbe Stunde länger als normal. Wie am Freitag nachmittags auf der Schnellstraße üblich, hat es einen Kleintransporter auf die Seite gelegt. Es kann ja nicht schnell genug gehen. Wer hier defensiv fährt, ist offenbar ein Verlierer in dieser Gesellschaft. Zum Glück sind die Bus- und Taxifahrer hier ganz vernünftig. Sonst gäbe es noch mehr Tote, gerade bei den Motofahrern.

Wenn man nach einer solchen (Tor-)tour wieder zu Hause ist, ist man froh und ich mache mir dann gerne ein Bier auf.

Francisco hat für die ganze Familie hier in Cartago von den USA aus im Supermarkt eingekauft. Gestern wurde verteilt. Unseren Anteil haben wir heute per zweifachem Mototransport erhalten. Wir haben jetzt genug Lebensmittel für den Atomschlag aus Peru. Etwa 10 kg Reis (reicht für mich lebenslänglich), 50 Eier und literweise Milch (ich hoffe, es ist haltbare)
Ich werde in den nächsten zwei Wochen viel Bauernfrühstück colombiana zubereiten, denn wir hatten gerade Eier gekauft.

Meine Frau kommt gleich wieder aus der Kirche, ich habe Bolognese vorbereitet, die Spaghetti, Kaliber 5, setze ich jetzt auf.

Herzliche Grüße an alle nah und fern aus Cartago/Valle
gordito54

Glboetrotter
Verified
Kolumbien-Experte
Kolumbien-Experte
Offline
Beiträge: 1008
Registriert: 15. Nov 2019, 06:05

Als deutscher Rentner nach Kolumbien ausgewandert

Beitrag von Glboetrotter »

@ Gordito54: Schön geschrieben, Bravo.

Spitalaufenthalte als Besucher in Kolumbien ist sehr angenehm. Mich erstaunt es auch immer wieder, wie modern es in den besseren Kliniken drinnen häufig aussieht (mit Erfahrung in Cali, Bogota, Cartagena und Medellin).

Es gibt bestimmt auch die altmodischen Kliniken, besonders in den ländlicheren Regionen.
Benutzeravatar

Holger78
Verified
Kolumbienfan
Kolumbienfan
Offline
Beiträge: 441
Registriert: 23. Aug 2018, 16:19
Wohnort: Ismaning / Barranquilla
Alter: 47

Als deutscher Rentner nach Kolumbien ausgewandert

Beitrag von Holger78 »

Wie immer, sehr schön geschrieben. Danke das Du uns an deinem Leben teilhaben lässt.

Zacarias
Kolumbienfan
Kolumbienfan
Offline
Beiträge: 104
Registriert: 8. Nov 2023, 17:30

Als deutscher Rentner nach Kolumbien ausgewandert

Beitrag von Zacarias »

😂 cool, 👍
Benutzeravatar

Themenstarter
gordito54
Verified
Kolumbienfan
Kolumbienfan
Offline
Beiträge: 240
Registriert: 9. Jul 2021, 09:11
Wohnort: Cartago/Valle
Alter: 70

Als deutscher Rentner nach Kolumbien ausgewandert

Beitrag von gordito54 »

Einen guten Morgen an alle Mitforisten und Leser zum Muttertag!

Meine Frau hat bei Gladys sämtliche Tische und Stühle des Restaurants geliehen (natürlich gegen Bares). Sie stehen jetzt bei der Schwester meiner Frau Carmen. Carmen hat viel Platz, wir die Stühle und Tische dafür. Heute Nachmittag ist Familientreffen mit Geschenken und Hühnchen mit Reis. Meine Portion nehme ich zu Gunsten meiner Frau mit nach Hause. Reis ist nicht meins. Ich nehme mal an, Tische und Stühle müssen heute Abend wieder bei Gladys eintrudeln, sonst kann sie morgen nicht aufmachen.
Den Transport per Motorrad -wie hier üblich- hat eine Neffe und mein Schwager übernommen. Meine Frau ist in der Kirche und ich war gerade im Bad fertig, als sie an die Tür klopften.
Solche Feiertage sind Stress pur für die Akteure. Gestern war meine Frau den ganzen Nachmittag in der City, um mit ihren Schwestern Geschenke zu kaufen. Francisco hatte Geld mit WU an Yeison geschickt, um die Feier heute zu finanzieren. Es wird sicher ein turbulenter Nachmittag.

ich habe meinen Gehstock aus Deutschland hierhin gerettet, weil man sowas ja mal wieder brauchen kann. Jetzt geht meine Frau damit, denn beide Knie schmerzen. Am 27. hat sie ihren Termin in der hiesigen Klinik der Nueva EPS. Mit Schmerzmittel allein geht es also nicht. Daher täte ihr Ruhe besser, als den Nachmittag im Zentrum auf der Suche nach Geschenken zu verbringen.

Am Anfang der Woche hat meine Frau an meiner rechten Hüfte zwei Male auf meiner Haut bemerkt, die schon recht groß sind. Da gehen bei uns die Alarmglocken, denn seit über 10 Jahren kämpfe ich erfolgreich gegen den Hautkrebs an. Bisher bin ich drei Stückchen Haut am Kopf losgeworden, davon war eine Probe schwarzer Hautkrebs, also echt gefährlich. Eine kleine Narbe habe ich am linken Arm. Ein Souvenir von einem ganzen Tag am Strand von Malaga. Nach 15 Minuten Sonne ist mein Tagespensum nämlich erledigt.
Donnerstag rief meine Holde bei unserer EPS an, um einen Termin für mich zu vereinbaren. Und tatsächlich war noch ein Termin für Freitag frei, um 08:30 Uhr!

Freitag: Wir sind um 08:20 Uhr am Eingang. Der Mitarbeiter kontrolliert uns (Cedula vorlegen) und gibt uns einen Zettel mit einer Wartenummer. Wir gehen in den Wartebereich. Alles Sitzplätze sind leider schon besetzt, es ist voll an diesem Morgen. Da steht eine Frau Mitte 40 auf und bietet mir ihren Platz an. Ich habe gedankt und meiner Frau diesen Platz zugewiesen. Sowas habe ich in Deutschland zuletzt vor gefühlten 40 Jahren erlebt.

Es ging zügig an der Anmeldung weiter und meine Wartenummer wurde am Monitor aufgerufen. Ich durfte 4500 COP Behandlungsbeitrag bezahlen (etwa 1,10 Euro). Danach war die nächste Sitzbankreihe dran im Flur vor den Arztzimmern. Die Ärzte arbeiten im Akkord. Wieder das gleiche: eine junge Frau Anfang 20 bietet mir ihren Sitzplatz an. Ich bin beeindruckt. Sie setzt sich auf den Boden.

Nach 5 Minuten werden wir ins Sprechzimmer gebeten. Die Ärztin fragt meine komplette Vorgeschichte ab und erklärt mir, daß sie alles erfassen wird, da ich Erstpatient bin. Also: Gewicht wiegen, Größe: ich bin 2 cm eingelaufen. Im Alter bilden sich die Bandscheiben zurück, daher wird man kleiner. Ob ich rauche? Nein. Alkohol? Na ja, nicht wirklich, nur mein Feierabendbier, das gehört zu unserer Kultur in Deutschland. Täglich? Klar. Wieviel? Das hat meine Frau beantwortet, die olle Petze (LACH). Seit wann? Seit über 40 Jahren. (Meine Frau ist besorgte um meine Gesundheit als ich selber, so sind Männer eben)
Gewicht: 122 kg, das freut mich, 22 kg weniger als vor drei Jahren bei meinem Hausarzt in Wesel. Blutdruck: zu hoch, wie immer. Bauchumfang: 126 cm. Hätte ich mir als Teenager ein Segelboot auf den Bauch tätowieren lassen, es wäre jetzt das Segelschulschiff der kol. Marine "Gloria" in vollen Segeln. Damit erübrigt sich die Berechnung meines BMI. Das ist was für Sportler oder figurbewußte Menschen.
Salz meiden, viel Salat und Gemüse essen, mehr bewegen, kein Alkohol. Diese Schallplatte kenne ich, nur noch nicht auf spanisch. Apropos Spanisch: ich konnte fast alles mit der Ärztin auf spanisch besprechen, meine Frau mußte kaum helfen, darauf bin ich etwas stolz.

Alles in allem hat sich die Ärztin sehr sorgfältig um mich gekümmert und die weiteren Dinge auch direkt veranlasst. In der kommenden Woche: Labortermin für Colesterin, Blutzucker, Leberwerte und die weiteren üblichen Verdächtigen. Kosten für mich insgesamt: knapp 80.000 COP , knapp 20 Euro.

Am 28.05. habe ich den Termin bei der Dermatologin. Ich hoffe, ich werde die Male in zwei ambulanten Schnitten los. Sollte ich stationär behandelt weden müssen, habe ich Anspruch auf ein Einzelzimmer, aber nicht weil ich schnarche. Das ist hier Standard.
Ich zahle der Nueva EPS 103.900 COP (24,90 Euro) monatlichen Beitrag. Das die medizinische Versorgung in Deutschland besser sein soll als hierzulande, wie eisern von denen behauptet wird, die nie hier waren, kann ich nicht bestätigen, im Gegenteil. Auch hier stellt sich mir wieder die Frage: was war nochmal das Schwellenland?

Nach exakt einer Stunde haben wir die clinica wieder verlassen. Ich war insgesamt positiv überrascht. Auch überrascht war ich von Folgeprogramm meiner Frau für den vergangenen Freitag: Rundreise durch Cartago mit einem Makler, der Häuser verkauft. Aber das ist eine neue Geschichte für die nächste Ausgabe von:
"Neues aus Cartago"

Herzliche Sonntags- und Muttertagsgrüße aus Cartago/Valle

gordito54

coentros
Verified
Kolumbienfan
Kolumbienfan
Offline
Beiträge: 213
Registriert: 22. Jun 2014, 22:59

Als deutscher Rentner nach Kolumbien ausgewandert

Beitrag von coentros »

Das ist in der Tat ein sich hartnäckig haltendes Gerücht. Die GKV in Deutschland ist schon lange nicht mehr was es mal war. Wartezeiten für einen Termin beim Spezialisten ohne Ende. Und wenn man einen Termin hat muss alles immer ganz schnell gehen. Abgesehen vom Fachkräftemangel in Krankenhäusern. Wenn man eingewiesen wird bringt man seine eigene Pflegekraft am besten gleich selber mit.

Und da die Fachkräft in Kolumbien offensichtlich gut sind werden solche Abwerbeversuche gestartet:
https://redmas.com.co/economia/En-Alemania-buscan-colombianos-para-trabajar-pagan-mas-de--10-millones-y-ensenan-el-idioma-20240508-0026.html



Bei dieser Antwort wurde ein Teilzitat laut unseren Forenregeln automatisiert entfernt. Powered by Datacom ©2024
Benutzeravatar

Themenstarter
gordito54
Verified
Kolumbienfan
Kolumbienfan
Offline
Beiträge: 240
Registriert: 9. Jul 2021, 09:11
Wohnort: Cartago/Valle
Alter: 70

Als deutscher Rentner nach Kolumbien ausgewandert

Beitrag von gordito54 »

@coentros:
Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Meine zweite Frau war Pflegefall, Pflegestufe drei. Als sie ins Krankenhaus nach Bocholt mußte, gab es keine Pflege für sie, das mußte ich nach Feierabend machen.
Meine Erfahrung zu Wartezeiten in Deutschland: Vom Hausarzt zum Facharzt: drei bis vier Wochen. Zum Chirurgen nochmal drei Wochen. Alles in allem ein Quartal von der Diagnose bis zur ambulanten OP und dem Befund aus der Pathologie.
Meine jetzige Frau hatte Wartezeiten in Madrid von etwa einem halben Jahr bis zum Facharzttermin.

gordito54

LosAmantes/Nikolas
Gesperrt
Offline
Beiträge: 36
Registriert: 11. Okt 2022, 20:30

Als deutscher Rentner nach Kolumbien ausgewandert

Beitrag von LosAmantes/Nikolas »

Bisher empfand ich Deine @gordito Beiträge immer als unterschwellig sehr negativ gegenüber Land, Leuten und Ihrer überwiegenden Mentalität.

Daher freut es mich, dass Du nun etwas positives und sehr wichtiges gefunden hast. Deine positiven Eindrücke vom Gesundheitssystem kann ich bisher absolut bestätigen. Wollen wir hoffen das es so bleibt, denn ich empfinde dies als entscheidenden Pluspunkt für COL

Die Wartezeiten in DE für Facharzttermine kann man in manchen Regionen wohl nur noch als unglaublich bezeichnen. Dies dürfte sich wohl nicht mehr signifikant verbessern in unserer Zeit ...

Dafür spüre ich subjektiv eine rapide Angleichung meines Sicherheitsgefühls in beiden Ländern. Dieses weckt bei uns in der Heimat auch immer öfter gesundheitsbezogene Überlegungen bei der Wahl des Aufenthaltsortes.




Anmerkung der Moderation:

Die Diskussion zum Gesundheitssystem in Kolumbien kann gerne im folgenden Thema diskutiert werden. Wenn es jedoch darum geht, dass in Deutschland alles schlecht ist, dann bitte hier weiterschreiben.

Admin.

Social Media