Seite 1 von 1

Der Staat als Komplize: Wie die Convivir den Paramilitarismus stärkten

Verfasst: So 23. Jun 2024, 17:29
von Eisbaer
Bild

In den 1990er Jahren war Kolumbien ein Land im Ausnahmezustand. Besonders auf dem Land herrschte blankes Entsetzen: Guerilla-Gruppen wie die FARC und die ELN, paramilitärische Verbände und brutale Drogenkartelle kämpften erbarmungslos um die Vorherrschaft. Der kolumbianische Staat war mit seiner Armee und Polizei hoffnungslos überfordert. Die Menschen fühlten sich schutzlos alleingelassen.

Als vermeintliche Lösung erfand die Regierung unter Präsident César Gaviria 1994 die sogenannten Convivir (Cooperativas de Vigilancia y Seguridad Privada). Das waren private Sicherheitskooperativen, die offiziell die Gemeinden schützen sollten. Die Idee klang zunächst gut: Lokale Bauern und Freiwillige sollten bewaffnet werden, verdächtige Aktivitäten melden und so die offiziellen Sicherheitskräfte unterstützen. Der Staat legitimierte diese Bürgerwehren und machte sie damit zu seinen offiziellen Partnern.

Doch aus der vermeintlichen Lösung wurde schnell ein brandgefährliches Problem. Was als Sicherheitskooperative begann, entpuppte sich in vielen Fällen als Türöffner für den Terror. Kaum kontrolliert und mit staatlicher Erlaubnis bewaffnet, verwandelten sich zahlreiche Convivir-Gruppen in genau das, was sie bekämpfen sollten: in brutale paramilitärische Todesschwadronen. Sie nutzten ihre Macht, um schlimmste Verbrechen zu begehen – außergerichtliche Hinrichtungen, Vertreibungen und Massaker. Der Verdacht stand im Raum: Der Staat hatte nicht nur versagt, er war zum Komplizen geworden.

Eine Schlüsselfigur in dieser düsteren Geschichte ist Álvaro Uribe. Als Gouverneur der Region Antioquia trieb er die Ausweitung der Convivir massiv voran. Für viele brachte ihm das den Ruf eines starken Mannes ein, der endlich durchgriff. Kritiker warfen ihm jedoch vor, damit den Nährboden für paramilitärische Strukturen bereitet und deren Aufstieg aktiv gefördert zu haben.

1997 stoppte das Verfassungsgericht das Convivir-Experiment endlich und erklärte es für verfassungswidrig. Doch es war bereits zu spät. Viele der bewaffneten Mitglieder und ihre Strukturen tauchten einfach unter – und gingen nahtlos in den offenen paramilitärischen Gruppen auf, die Kolumbien noch Jahre in Blut tränken sollten.

Fazit: Die Geschichte der Convivir ist ein Lehrstück darüber, wie gut gemeinte Sicherheitskonzepte katastrophal scheitern können. Statt Schutz brachten sie noch mehr Gewalt und zementierten ein tiefes Misstrauen der Bevölkerung gegenüber dem Staat. Die Convivir öffneten dem Paramilitarismus die Tür – und der Staat hieß ihn willkommen. Die Wunden, die diese Verquickung von staatlicher Macht und privater Gewalt gerissen hat, sind in Kolumbien bis heute nicht verheilt.