„Ein surrealer Mix aus deutschem Kitsch und kolumbianischem Drogenbaron-Glanz“
Mein Aufenthalt vor langer Zeit in der Posada Alemana in Quindío – jenes skurrile Luxusrefugium, das einst
Carlos Lehder als Privatdomizil und exklusives Gästehaus diente – bleibt für mich eine der faszinierendsten Reiseerinnerungen. Das Anwesen lag einsam an der Verbindungsstraße zwischen Pereira und Armenia, eingebettet in die sanften Hügel der Kaffeezone, doch sein architektonischer Stil hätte kontrastreicher nicht sein können: Eine bizarre, fast schon naive Hommage an Deutschland, errichtet von einem Mann, der selbst nie in Deutschland gelebt hatte.
Meine Unterkunft, eine der legendären "Cabañas Suizo", war für die damalige Zeit erstaunlich komfortabel ausgestattet: massive Holzmöbel, handgeschnitzte Verzierungen, deutsche Bierkrüge als Dekoration und sogar original Schweizer Kuckucksuhren an den Wänden. Die Atmosphäre pendelte zwischen gemütlicher Berghüttenromantik und dem protzigen Überfluss eines Drogenbarons – ein surrealer Mix, der heute wie eine Satire auf Macht und Dekadenz wirkt, damals aber bewusst als Statussymbol inszeniert war.
Besonders einprägsam war die mittelalterlich anmutende Burg-Einfahrt, die wie ein Filmset aus einem Ritterepos wirkte. Noch absurder: Die lebensgroße John-Lennon-Statue am Treppenaufgang, die jeden Besucher musterte. Dieser bizarre Kunstgriff – eine Mischung aus Germanenkitsch und Popkultur – verriet viel über Lehders exzentrischen Geschmack und seinen Hang zur Selbstdarstellung.
Das Restaurant servierte erstaunlich authentische deutsche Hausmannskost neben kolumbianischen Spezialitäten. Doch der eigentliche Reiz lag weniger im Essen als im gesellschaftlichen Schauspiel: Hier verkehrten einst Politiker, Geschäftsleute und zwielichtige Gestalten, während Lehder gelegentlich selbst als Gastgeber auftrat. Heute sind diese Hallen verstummt – nur noch verwaiste Ruinen zeugen vom einstigen Glanz.
Die Posada Alemana war nie einfach ein Hotel, sondern ein Monument von Lehders Widersprüchen: Seine naive Faszination für deutsche Folklore, sein krimineller Machtanspruch und sein exzentrischer Geschmack vereinten sich hier zu einem beklemmenden Gesamtkunstwerk.
Ein Ort, der wie eine Kulisse aus einem Gabriel-García-Márquez-Roman wirkt – eine melancholische Ruine, in der man noch den Hauch von Exzess und Machtrausch spürt, während die Natur sich das Terrain zurückerobert. Für mich bleibt es eine der eindrücklichsten Erinnerungen an Kolumbiens widersprüchliche Geschichte.