Diese Entwicklung wirft grundlegende Fragen auf – zur Zukunft des Friedensprozesses, zur Rolle internationaler Verpflichtungen und zur politischen Stabilität des Landes. Die Sicherheitslage verschärft sich bereits, während Friedensverhandlungen mit anderen bewaffneten Gruppen ins Stocken geraten oder ganz gescheitert sind.
Das Friedensabkommen, das unter Präsident Juan Manuel Santos unterzeichnet wurde, beendete offiziell einen jahrzehntelangen bewaffneten Konflikt mit über 260.000 Todesopfern und Millionen Vertriebenen. Es wurde international begrüßt und durch die Vereinten Nationen begleitet. Besonders brisant: Der kolumbianische Staat hatte damals eine einseitige Erklärung gegenüber den UN abgegeben, in der er sich zur Einhaltung der Vereinbarungen verpflichtete.
Präsident Gustavo Petro reagierte mit scharfer Kritik auf die Referendumsinitiative. In einer Sitzung des Ministerrats warnte er eindringlich vor den internationalen Konsequenzen eines solchen Schrittes. Wörtlich sagte er: „Wenn das Referendum durchgeführt und der Friedensprozess beendet wird, ist das der Beweis dafür, dass wir unsere Erklärung gegenüber den Vereinten Nationen nicht einhalten. Die Sanktionen gegen Kolumbien wären fatal. Uns bliebe nichts anderes, als aus den Vereinten Nationen auszutreten.“
Diese Aussage hat landesweit und international für Aufsehen gesorgt. Petro sieht in der möglichen Aufhebung des Abkommens nicht nur einen Rückschritt für den inneren Frieden, sondern auch eine existenzielle Bedrohung für Kolumbiens Stellung in der Weltgemeinschaft.
Parallel zur politischen Krise verschärft sich die Sicherheitslage im Land. In mehreren Regionen kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Splittergruppen der FARC, der ELN und anderen bewaffneten Akteuren. Die Friedensverhandlungen mit der ELN wurden Anfang des Jahres ausgesetzt, und auch Gespräche mit anderen Gruppen wie dem Estado Mayor Central (EMC) und der Segunda Marquetalia verlaufen stockend oder sind gescheitert.
Die Vision eines „totalen Friedens“, die Petro zu Beginn seiner Amtszeit formulierte, scheint zunehmend unrealistisch. Die Vielzahl bewaffneter Gruppen, ihre unterschiedlichen Interessen und die fehlende zentrale Verhandlungsstruktur machen eine einheitliche Friedenslösung nahezu unmöglich.
Die kommenden Wochen könnten entscheidend sein für die Zukunft des Friedensprozesses in Kolumbien. Sollte das Referendum tatsächlich zur Aufhebung des Abkommens führen, droht nicht nur eine Eskalation der Gewalt, sondern auch eine internationale Isolation des Landes. Die Diskussion darüber ist eröffnet – und sie betrifft nicht nur Kolumbien, sondern die gesamte internationale Gemeinschaft.