Carlos Felipe Adarme Quinchua und Marco Tulio Cortés Viveros sind am 23. November im kolumbianischen Departament Cauca von drei Polizisten in ein Privatauto gezerrt und an einen unbekannten Ort gebracht worden. Die beiden bekannten Gemeindeaktivisten sind bis heute spurlos verschwunden. Die Polizisten verweigern jegliche Aussage über ihren Verbleib. Nachbarn, Familienangehörige und Freunde suchen bislang vergeblich nach den beiden jungen Männern und haben eine Eilpetition gestartet.
Buenaventura ist nicht nur der wichtigste Pazifikhafen, sondern auch eine der gefährlichsten Städte Kolumbiens. Und das hängt mit dem Hafen zusammen. Hier werden nicht nur Drogen in den Norden verschifft; zudem ist der normale Hafenumschlag ein Wirtschaftsfaktor von nationalem Interesse. Mit dem Umsatz wächst auch der Hafen. Aber um den Hafen herum leben Menschen – fast ausschließlich Afrokolumbianer*innen, die den Profiteur*innen des Hafenbusiness ein Dorn im Auge sind.
Auch 2020 ist in Kolumbien kein Ende der systematischen Verfolgung, Vertreibung und Ermordung von Bauern, Indigenen, Aktivisten und Linken abzusehen. Seit Jahresbeginn wurden mindestens acht Menschen bei Anschlägen ermordet. Unter den Opfern befinden sich Bauern sowie Aktivistinnen und Aktivisten sozialer und indigener Bewegungen.
„Einer der Sprecher der afrokolumbianischen Gemeinschaften und der autonomen Interethnischen Wahrheitskommission, Leyner Palacios, wird akut mit dem Tod bedroht. Nachdem kürzlich Nachfolgeorganisationen der Paramilitärs den Ort Bojayá besetzt haben, hat diese Drohung einen sehr realen Hintergrund.“ Das berichtet Stefan Tuschen, Länderreferent für Kolumbien beim Werk für Entwicklungszusammenarbeit in Aachen.
Die Vereinten Nationen haben die Ermordung von Menschenrechtlern in Kolumbien verurteilt. "Der Teufelskreis von Gewalt und Straflosigkeit muss beendet werden", forderte die Sprecherin von UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet am Dienstag in Genf. Demnach wurden im vergangenen Jahr 107 Aktivistinnen und Aktivisten getötet. 13 weitere Todesfälle würden noch untersucht. Für dieses Jahr befürchten die UN eine weitere Zunahme der Morde.
Der Großteil der Todesfälle ereignete sich den Erkenntnissen nach in ländlichen Gebieten mit einer überdurchschnittlich hohen Armutsquote. Dort sind auch illegale bewaffnete Gruppen aktiv. Aktivisten, die sich für bestimmte Gemeinde-, ethnische und indigene Gruppen einsetzten, seien am meisten betroffen gewesen.
Kolumbien gilt als präferierter Partner Deutschlands und ist das einzige Land Lateinamerikas mit dem Status "globaler NATO-Partner". Das zahlt sich aus: In den ersten Januarwochen wurden 20 soziale Aktivisten ermordet, ohne dass dies zu Reaktionen Berlins geführt hätte. Man stelle sich vor, in Venezuela, Russland oder der Türkei wäre innerhalb von nur zwei Wochen über ein Dutzend sozialer Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger ermordet worden. Der mediale und politische Aufschrei in der Bundesrepublik wäre enorm, Sondersendungen inklusive. Ganz anders fällt jedoch die Reaktion im Falle Kolumbiens aus.
Am 16. Januar wurde der Gewerkschaftler Yordan Tovar von Unbekannten in der Provinz Puerto Guzmán im südkolumbianischen Department Putumayo erschossen. Er war Vorstandsmitglied der lokalen Landarbeiter*innen-Gewerkschaft SINTCAFROMAYO und befand sich am Abend des 16. Januar im Gewerkschaftsladen des Dorfes Puerto Vega Teteyé, als Bewaffnete auftauchten und mehrfach auf ihn schossen.
Die Hilfsorganisation Oxfam hat ihrerseits in einer Erklärung die Morddrohungen von paramilitärischen Gruppen verurteilt, die in mehreren Landesteilen ihr Unwesen treiben. Zuletzt war ein Drohbrief der paramilitärischen Organisation AGC (Autodefensas Gaitanistas de Colombia) aufgetaucht, in der verschiedene Aktivist*innen und Politiker*innen bedroht werden, darunter die neue Bürgermeisterin von Bogotá, Claudia López.
Der Jahresbericht 2019 des Büros des Hochkommissariats für Menschenrechte der Vereinten Nationen (UNHCHR) in Kolumbien bewertet die Menschenrechtssituation in dem südamerikanischen Land als dramatisch. So seien erstmals wieder mehr Massaker verübt worden als im Jahr 2014 – noch vor dem Friedensvertrag zwischen der Farc-EP-Guerilla und der Regierung des damaligen Präsidenten Juan Manuel Santos. Bei diesen Massakern wurden demnach 133 Menschen getötet. Die am meisten betroffenen Departamentos sind Antioquia, Cauca und Norte de Santander.
Arley Aguedo, Ex-Gemeinderat und Chef der Landwirtschaftsorganisationen, war bereits seit einigen Tagen vermisst und schließlich am Wochenende im Ort Campamento tot aufgefunden worden. Das zweite Opfer ist der 49-jährige Politiker Amado Torres. Nach Angaben seiner Eltern seien schwer bewaffnete Männer am vergangenen Samstagmorgen in ihr Haus eingedrungen und hätten Torres getötet.
Der vergangene Woche herausgegebene Jahresbericht 2019 des Büros des Hochkommissariats für Menschenrechte der Vereinten Nationen (UNHCHR) in Kolumbien sorgte bei Regierungsvertretern für missmutige Reaktionen. In dem Bericht wird auf 36 Massaker mit 133 Toten aufmerksam gemacht und von 108 Tötungsdelikten an Menschenrechtsaktivisten berichtet. Außerdem geben schwere Menschenrechtsverletzungen durch Militär und Polizei Anlass zu großer Sorge. Hinsichtlich der landesweiten Proteste ab November 2019 wird aufgezeigt, dass sich Mitglieder der Sondereinheit zur Aufstandsbekämpfung (Esmad) nicht an internationale Normen und Standards hielten. Das UN-Büro berichtet zudem über 23 Angriffe der Polizei auf Journalisten, die bei Demonstrationen berichteten. Auch Morde und Anschläge auf Journalisten wurden verzeichnet. Regierung von Präsident Duque weist Empfehlungen vehement zurück. Rechte Politiker fordern Rauswurf von UN-Behörden.
Bei den drei ermordeten Aktivisten handelt es sich um Marco Rivadeneira aus der südlichen Provinz Putumayo, Ángel Ovidio Quintero aus der westlichen Region Antioquia und Ivo Humberto Bracamonte aus einer Region an der Ostgrenze zu Venezuela. Kolumbien gilt als eines der gefährlichsten Länder der Welt für Aktivisten und Gemeindepolitiker.
Seit dem Beginn der landesweiten Quarantäne vor zwei Wochen zählte das kolumbianische Institut für Friedens- und Entwicklungsstudien Indepaz bereits 14 getötete Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger. Senator Iván Cepeda warnte indes vor einer Zunahme der Morde inmitten der Corona-Pandemie, die weder im Land noch in der Weltgemeinschaft die nötige Aufmerksamkeit erhielten.
Der Bauer Guillermo Pérez lebt seit Jahren wie ein Nomade. Was er sät, kann er nicht ernten. Spätestens nach einem Monat muss er umziehen – aus Sicherheitsgründen. Die Morddrohungen kommen auf Papier, per Telefon oder von bewaffneten Männern auf Motorrädern. Und das alles, weil er sich in der kolumbianischen Region Cesar dafür einsetzt, dass Vertriebene ihr Land zurückbekommen. Dieses gehört jetzt meistens den Bergbauriesen Drummond und Prodeco.
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